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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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habt mich zu Tode erschreckt.»
    «Ihr seid viel zu schnell an mir vorbeigeflitzt. Ich entschied,einen Augenblick auf den Grund Eurer Eile zu warten. Wenn Euch jemand gefolgt sein sollte, ich war es jedenfalls nicht. Ich
     hatte mein Pferd in den Mietstall in der Finkentwiete gebracht und stand am Fischmarkt, die Nacht über der Elbe zu betrachten,
     als Ihr aus einem dieses Gässchen geschossen kamt. Es riecht am Fluss schon wunderbar nach Frühling und weiter Welt. Doch
     nun kommt, Ihr zittert ja.» Er schob seine Hand unter ihren Arm und führte sie in das Haus. «Glaubt Ihr, Jean wird verraten,
     dass er immer ein Fläschchen Branntwein versteckt hält, und Euch ein wenig davon verabreichen?»
    Rosina hätte gerne gelacht, es gelang ihr aber nicht. Sie zitterte tatsächlich, gewiss nur vor Kälte, und spürte dankbar seine
     Wärme auf der engen Treppe hinauf zur Becker’schen Wohnung. Zum ersten Mal hatte sie ihn bei seinem Vornamen genannt, so selbstverständlich,
     dass sie es nicht einmal bemerkt hatte.
     
    Polizeimeister Proovt quälte schrecklicher Hunger. Sein Magen war seit dem Frühstück leer, das winzige süße Haferküchlein,
     das Madame Boster ihm mit flatternden Händen serviert hatte, hatte das bohrende Gefühl der Leere nur verstärkt. Leider war
     er dumm genug gewesen, die angebotene Tasse Schokolade abzulehnen, und zu wohlerzogen, sie nachträglich zu erbitten. Madame
     Boster trank zwei, eine dritte ließ sie unberührt stehen, und es kostete ihn erhebliche Mühe, die erlesen duftende, mit dicker
     Sahne verrührte Kostbarkeit nicht ständig anzustarren.
    Madame Boster, eine zierliche, kaum zwanzigjährige Frau, den Kopf voller ebenso zierlicher rötlicher Löckchen, hatte ihn gleich
     eintreten lassen. Was ungewöhnlichwar, üblicherweise wurde der Polizeimeister nur in Gegenwart des Hausherrn eingelassen. Sie empfing ihn, als habe sie ihn
     erwartet, und kaum saßen sie einander in ihrem kleinen Salon mit den nagelneuen Möbeln aus sanft schimmerndem Mahagoni gegenüber,
     flossen schon die ersten Tränen. Geduldig lauschte er der Klage über den Verlust der liebsten Freundin, geduldig reichte er
     ihr das veilchenfarbene Spitzentüchlein, mit dem sie ihre immer roter werdende Nase betupfte und das ihr ständig entglitt.
    Ja, sie habe Anna in das Theater mitgenommen, sie und Hinrich. Monsieur Boster liebe die Komödie über alles, gewiss sei das
     Hamburger Theater wertvoller, doch nicht so vergnüglich wie die Becker’schen Komödianten. Sie habe nur Madame Benning, der
     armen alten Thea, nicht erzählen können, wie es wirklich gewesen sei. Tatsächlich hatte Anna sie gebeten, ins Theater zu kommen,
     weil Matthias Paulung sie für diesen Abend zu einem Besuch der Komödie eingeladen hatte. So waren sie eben ins Theater gegangen,
     Anna zum Gefallen, man konnte sie ja nicht allein gehen lassen mit einem Mann, mit dem sie nicht einmal verlobt war, von dem
     auch jeder wusste, dass ihr Vater verboten hatte, ihn auch nur zu sehen.
    Matthias, beteuerte sie, und an dieser Stelle begannen die Tränen wieder heftiger zu strömen, sei ein ehrenwerter Mann. Ernst,
     ein wenig aufbrausend vielleicht, auch habe er viel Pech gehabt, aber doch ein durch und durch ehrenwerter Mann und fechte
     tapfer und aufrecht mit dem Schicksal. Zacharis Hörne sei nicht im Recht, indem er ihn so schmähe. Doch, das stimme. Sie und
     ihr Mann hatten Anna nach dem Theater bis zu Theas Haus zurückbegleitet.
    Matthias hatte sie begleiten wollen, natürlich hatte er das!, aber das ließ Anna nicht zu. Wegen der Leute und weil er noch
     zurück nach Hamburg musste.
    Wie er das hatte anstellen wollen, die Tore waren ja längst geschlossen, wusste Madame Boster allerdings nicht. Dafür wusste
     sie ganz genau, dass Anna ihre Halskette noch trug, als sie sich nahe Madame Bennings Haus von ihr verabschiedeten.
    Matthias Paulung. Immerhin ein Name, dachte Proovt, eine tatsächlich existierende Person. Ein Mann, mit dem die Tote ihren
     letzten Abend verbracht hatte, vielleicht sogar ihre letzte Stunde. Dass er in Hamburg lebte, war lästig. Heute war es zu
     spät, ihn zu suchen. Der Besuch bei Madame Boster hatte lange gedauert. Die Sonne war gerade hinter einer grauen Wolkenwand
     verschwunden, und die Dunkelheit senkte sich rasch über die Stadt. Aber morgen früh, wenn die Hamburger gleich nach Sonnenaufgang
     ihre Tore wieder öffneten.
    Jetzt nur noch schnell in der Amtsstube im Rathaus nach dem Rechten sehen,

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