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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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den linden, spielfreien Abenden ruderte er sie auf die weite
     Alster hinaus und zeigte ihr, wie die Sonne die Dächer der Stadt und das satte Land in goldrotes Licht tauchte. Helena argwöhnte,
     er zeige ihr ganz andere Dinge, womitsie völlig recht hatte. Dann, plötzlich – in der Stadt begann man schon zu tuscheln, und Jakobsen hatte feixend gefragt, wann
     es an der Zeit sei zu gratulieren   –, stand er eines Tages vor der Tür ihrer Wohnung im Kröger’schen Hof, um Abschied zu nehmen. Nach Italien, sagte er. Leider.
     Ja, ganz plötzlich. Wer als Maler etwas werden wolle, müsse Rom und Florenz studieren. Und es habe sich gerade eine Gelegenheit
     ergeben, in erfahrener Gesellschaft zu reiten, der Weg über die Alpen sei allein doch recht gefahrvoll, besonders jetzt, da
     es schon Herbst sei und dort der erste Schnee falle. Die Pässe   …
    Er hatte nicht gefragt, ob sie ihn womöglich begleiten wolle. Gewiss, so hatte Manon geflüstert, halte er ein solches Ansinnen
     für unehrbar, was Rosina sehr einfältig fand. Und Helena, vom Leben klug und weitaus klarsichtiger als das Mädchen auf der
     Höhe seiner schwärmerischen Jahre, verkündete laut und deutlich, das Gegenteil sei der Fall, der Herr Malerpinsel habe viel
     mehr befürchtet, sie werde ja sagen. Ein bremischer Kaufmannssohn, selbst wenn er sich mit seiner Malerei noch so sehr als
     Freigeist geriere, tue sich wohl leicht, eine Komödiantin zu verehren, gar zu lieben, aber nicht so leicht, mit einer Komödiantin
     sein Leben zu teilen, und sei es auch nur für ein Stück des Weges. Bevor sie ihren Vortrag mit spitzzüngigen Ausführungen
     über die Unmöglichkeit einer Ehe über diesen Abgrund der Herkunft fortsetzen konnte, war Rosina schon geflohen.
    Seither waren drei Briefe gekommen, wunderschöne Briefe, geradezu zu Herzen gehend, wenn sie auch überwiegend von den Kunstschätzen
     und der Lieblichkeit der Landschaften handelten, denen er begegnete. Der letzte Brief hatte sie erreicht, als sie in diesem
     Frühjahr von einemGastspiel in Braunschweig nach Hamburg zurückkehrten. Er war vom Anfang des Januar. Sie glaubte nicht, dass noch einer folgen
     werde. Höchste Zeit, damit aufzuhören, in der Silhouette eines fremden Reiters Vertrautes zu entdecken. Allerhöchste Zeit
     und ein für alle Mal!
    Endlich erreichte sie das Schlachtertor, das seinen Namen nach den nahen Buden der Schlachter trug. An Altonas Grenze zum
     Hamburger Territorium gab es, entsprechend der Zahl der von Osten in die Stadt führenden Straßen, sechs Tore. So wehrhaft
     und unbezwingbar die Festung der großen Nachbarstadt, die von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang und während der Hauptgottesdienste
     niemanden hineinließ, und sei er der Kaiser persönlich, so schlicht die Tore Altonas: nichts als zwei hohe Pfosten an der
     Grenzlinie links und rechts der schmalen Straßen, zwischen denen nach Einbruch der Dunkelheit hölzerne Sperren den Durchgang
     verwehren sollten. Wer zu spät kam, musste ein Sperrgeld entrichten. Tatsächlich waren die Tore längst zum ständig offenen
     Durchlass geworden. Die Altonaer waren stolz darauf, dass ihre Stadt ohne Mauern war, und nannten ihre Tore lieber Pforten
     oder Einfahrten. Wer hinein- oder hinauswollte, konnte das zu jeder Zeit.
    Die Straßen lagen schon im Dunkel, doch die erleuchteten Fenster nahmen ihnen das Bedrohliche, und in den Häusern und Ställen
     summte es vor abendlicher Geschäftigkeit. Rosina hatte nie zuvor daran gedacht, nun begriff sie das Glück, das die Leuchtfeuer
     auf Neuwerk und Helgoland, überall an allen Küsten für die Seeleute bedeuten mussten. Nach langer Fahrt über das Meer waren
     sie die Vorboten der Sicherheit. Plötzlich fand Rosina die Nacht schön, die schmalen Gassen, der Geruch der Ställeund der Feuer von Holz und Torf gaben ihr das tröstliche Gefühl der Geborgenheit. Sie dachte an Matti, die nach dem Besuch
     bei ihrer alten Freundin Thea erschöpft gewesen war. Ihre Trauer um das tote Mädchen und Madame Bennings untröstbares Leid
     hatten Matti mehr geschwächt, als sie jemals zugegeben hätte. Sie verweigerte beharrlich, sich auf einem der Wagen mitnehmen
     zu lassen, die auch an diesem Nachmittag auf dem Weg von Altona nach Hamburg nahe an ihrem Haus vorüberfuhren. Immerhin hatte
     sie sich auf ihrem Heimweg von Rosina begleiten lassen. In dem kleinen Haus nahe der Kirche St.   Pauli war es angenehm warm gewesen, und die alte Lies hatte schon mit heißem,

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