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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Dichter, der uns ein Stück versprochen hatte und, bevor
     er es uns geben konnte, im Pesthof zu Tode kuriert wurde? Das einzig Auffällige an Klemens war vielleicht, dass er nicht umgehend
     begann, mir schönzutun. Hin und wieder spürte ich tatsächlich etwas Vertrautes. In einer Geste oder seiner Art, beim Lächeln
     leicht die Brauen zu heben. Aber ich habe das kaum beachtet. Wir treffen so viele Menschen auf unseren Reisen, so dachte ich,
     er erinnere mich eben an irgendjemanden. Einfach irgendjemanden. Er hat auch mehr als andere gefragt. Nur nach Kleinigkeiten,
     ich habe nicht darüber nachgedacht. Selbst wenn ich das getan hätte, wäre mir niemals eingefallen, wer er ist. Niemals. Ich
     kann es noch jetzt kaum glauben.»
    «Aber du glaubst es? Kannst du wirklich ganz sicher sein? Du sagst, er sei beinahe auf eine Betrügerin hereingefallen. Wenn
     er nun selber einer ist? Hatte er einen Brief von deinem Vater? Irgendetwas, ein Erkennungszeichen? Die Miniatur aus dem Zimmer
     deiner Mutter zum Beispiel.»
    «Ach, liebste Anne. Du sorgst dich um mich? Dazu gibt es keinen Anlass. Nein, er hatte keine Nachricht von meinemVater. Dennoch, warum sollte jemand eine solche Geschichte erfinden? Und vor allem: Woher wollte er all das wissen? Nein,
     ich bin ganz sicher. Und nun, da ich weiß, wer er ist, erkenne ich wirklich vieles an ihm wieder, und auf keine meiner Fragen
     blieb er die Antwort schuldig.»
    Anne seufzte. Nicht weil sie Rosinas Vertrauen in diesen Fremden beunruhigte, sondern weil sie an all die Fragen dachte, die
     sie selbst brennend gerne gestellt hätte und die ihr Taktgefühl ihr verboten hatte. Zum Beispiel nach der Ursache der Narbe
     auf ihrer Wange. Vielleicht war Rosina einfach auf ihren beschwerlichen Wanderungen mit den Komödianten vom Wagen gestürzt,
     vielleicht war etwas von der Oberbühne gefallen und hatte sie getroffen. An eine so belanglose Erklärung mochte sie allerdings
     nicht glauben.
    «Ist das ein wunderbarer Morgen?» Claes Herrmanns stand in der Tür und verbeugte sich mit weit ausholender, gutgelaunter Geste.
     «Noch wunderbarer durch Euren Besuch, Rosina. Ihr solltet nicht nach Altona zurückkehren, bevor Anne Euch ihre neuen Bäume
     gezeigt hat. Wunderbare Gewächse, wirklich außerordentlich. Sie versprechen die Attraktion der Gartenliebhaber zu werden,
     jedenfalls wenn sie sich entschließen, nach ihrer weiten Reise auch noch neues Grün zu treiben. Und hier, Madame, Mademoiselle»,
     er hielt wie im Triumph ein rundlich ausgebeultes Leinensäckchen hoch, «bringe ich eine besondere Delikatesse.»
    Er öffnete den Beutel und ließ den Inhalt, sanft glänzende Orangen und Zitronen, auf den Tisch rollen. Wie an jedem Morgen
     der letzten Tage war er auch heute gleich nach dem Frühstück zum Hafen gegangen. Ständigliefen nun Schiffe ein, und auch wenn er Christian den Empfang der Schiffer und der Herrmanns’schen Ladungen übertragen hatte,
     ließ er sich dieses alljährliche Frühjahrsvergnügen, die erste frische Luft der Ozeane und der weiten Welt zu atmen, nicht
     entgehen.
    «Wie steht es in Altona, Rosina? Ist der Hafen schon voll?»
    «Darauf weiß ich leider keine Antwort», sagte sie lächelnd. «Ich fürchte, meine Augen sehen andere Dinge als Eure. Aber in
     den Läden werden schon frische Kolonialwaren angeboten.»
    «Stell dir vor, Claes.» Orangen hin, Zitronen her, Anne konnte sich nun nicht mehr zurückhalten. «Rosina hat   …»
    Da sah sie deren rasch und bittend auf die Lippen gelegten Zeigefinger und schwieg.
    Sie begriff, dass Rosina ihre Geschichte jetzt nicht zum dritten Mal erzählen und auf Fragen antworten konnte.
    «Was hat Rosina?» Claes sah amüsiert von seiner Frau zu deren Gast und wieder zurück.
    «Ich habe etwas mitgebracht», sagte Rosina rasch, sicher, dass Anne später für sie berichten würde. Sie griff in die Tasche
     ihres Rockes und zog einen gefalteten Papierbogen heraus, strich ihn behutsam glatt und legte ihn zwischen Tassen und beinahe
     leergegessenen Frühstücksplatten in die Mitte des Tisches.
    «Ihr habt gewiss gehört, dass die Tote in der Elbe eine Halskette trug. Der Polizeimeister denkt, dass der, der sie getötet
     hat, sie abgerissen und eingesteckt hat.»
    «Der Polizeimeister von Altona? Das lasst nicht Wagner hören. Er wird es gar nicht gerne sehen, wenn Ihr Eure Talente auch
     der Konkurrenz zur Verfügung stellt.»
    «O nein, Monsieur Herrmanns, so ist es nicht. Ich habe Titus versprochen, mich

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