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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Druck vieler Hände und wollte zugleich bleiben und schnell wie der Wind davonreiten.
    Helena steckte ihr zum Abschied ihr schönstes buntes Tuch, das mit den roten Seidenfransen, in die Satteltasche, Augusta mogelte
     ein kleines Fläschchen ihres Rosmarinbranntweins hinein, ihr Heilmittel für nahezu alle Gelegenheiten. Anne Herrmanns verabschiedete
     sich als Letzte. Ihre Blässe und die dunklen Schatten um ihre Augen zeigten tiefen Kummer und wurden allgemein als Beweis
     der tiefen, ungewöhnlichen Verbundenheit zwischen der Frau des reichen Kaufmanns und der Komödiantin angesehen. Sie schenkte
     Rosina eine kleine, mit Granaten und winzigen rosenfarbenen Perlen besetzte Brosche, schob ihr einen kaum größeren versiegelten
     Brief in die Tasche ihres Rockes und umarmte sie mit einer Innigkeit, als sei dies ein Abschied für alle Zeiten.
    Endlich saß auch Rosina im Sattel. Claes prüfte ein letztes Mal die Länge der Steigbügel, Helena zurrte ein letztes Mal den
     Riemen um Rosinas Mantelsack fest, Muto griff ein letztes Mal nach ihrer Hand. Alle winkten und riefen durcheinander. Es war
     ein Wunder, dass die Pferde nicht scheuten, sondern sich brav inmitten dernachdrängenden Menschen aus dem Hof und auf die Straße lenken ließen.
    Dann waren sie fort. Die Menschen auf der Großen Elbstraße blieben stehen und sahen tuschelnd dem Paar nach, das aus der Stadt
     ritt und von dem alle wussten, wohin ihre Reise sie führen würde. Auch die, die ihnen aus Melzers Hof auf die Straße gefolgt
     waren, sahen und winkten ihnen nach, bis sie beim Fischmarkt von einem hochbepackten vierspännigen Fuhrwerk ihren Blicken
     entzogen wurden.
    «Es ist nicht recht», flüsterte Gesine, «dass sie ohne Begleitung reitet.»
    «Wieso?», flüsterte Manon zurück. «Sie reitet doch mit Monsieur Klemens. Ach», ihr zarter Seufzer verriet, dass sie sich keine
     begehrenswertere Begleitung vorstellen konnte, «sicher wird sie ihn bald heiraten.»
    «Ihren Cousin?»
    «Natürlich. Er hat sie im ganzen Land gesucht, und als er sie
endlich
fand, wusste er gleich, dass sie der Stern seines Lebens ist, die Sonne seiner Zukunft. Nun treten sie vor ihren Vater, erbitten
     seinen Segen, und alle leben glücklich fort.»
    Es folgte ein abgrundtiefer Seufzer.
    «So ein dummes Geschwätz.» Gesine sah ihre Tochter streng an. «Dies ist kein Schäferspiel, sondern das Leben. Dieser junge
     Mann ist sehr reich. Er hat von seinem Vater mehr geerbt, als er jemals verspielen könnte. Der wird nicht daran denken, eine
     Komödiantin zu heiraten, egal wo sie geboren wurde, und all seine Zukunftsaussichten zunichte machen.»
    Manon presste die Lippen aufeinander und schwieg. Sie war fünfzehn Jahre alt und noch nicht bereit, ihreTräume gegen die langweilige Vernunft der Erfahrung einzutauschen.
    Schließlich stand nur noch Helena auf der Straße vor dem Kaffeehaus. Sie fror, doch das merkte sie nicht. Immer noch starrte
     sie blind die Straße hinauf und fragte sich, warum sie so wütend war. Sie hatte sich den Abschied schön vorgestellt, traurig,
     das wohl, aber doch voller guter inniger Gefühle, Umarmungen, süßer Tränen und Beteuerungen. Eben so, wie ein Abschied zwischen
     Menschen, die einander so eng verbunden sind, sein soll. So war es nicht gewesen. Es war ein Rummel gewesen, Gedränge, falsche
     Heiterkeit und Hektik. Jean hatte sogar die Gelegenheit genutzt, mit dem Konfitürenhändler – was hatte der klebrige Kerl überhaupt
     hier gewollt? – einen Sonderpreis für eine Lieferung Liqueurs und englischer Marmeladen auszuhandeln.
    Sie hatte Rosina noch so viel sagen wollen. Vor allem dass sie sie liebe wie eine Schwester und alle Tage vermissen werde.
     Sie hatte sie auch um Verzeihung bitten wollen für manches unbedachte, verletzende Wort, für ihre Schroffheit während der
     ersten Monate. Gewiss hätte Rosina gelacht und gesagt: «Das ist so lange her, Helena, ich habe es längst vergessen.» Dennoch
     war es nötig, es wäre nötig gewesen, es zu sagen. Nun war es zu spät.
    Rosina hatte versichert, sie werde zurückkommen. Helena bemühte sich, daran zu glauben, aber sie konnte es nicht. Alles war
     so schnell gegangen, nur wenige Tage lagen zwischen Gregors Eröffnung, Klemens Lenthe auf der Suche nach seiner Cousine zu
     sein, und ihrer Abreise. Zu wenige, um wirklich zu begreifen. Erst als Rosina in ihrer Reisekleidung aus der Kammer trat,
     Brot und Schinken einpackte und eines der Messer erbat, begriff Helenawirklich,

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