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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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bekommen.
    «Natürlich, Madame, verzeiht. Erinnert Ihr Euch, Mademoiselle, warum Ihr in den Fluss gefallen seid?»
    «Warum? Wie man eben in einen Fluss fällt. Sicher nicht zum Vergnügen. Warum fragt Ihr das?»
    «Denkt bitte nach: Gab es einen besonderen Grund?»
    Rosina schüttelte langsam den Kopf. «Es lag an diesem Gedränge. Zwei Fischer hatten an den Vorsetzen festgemacht, und viele
     Leute wollten Fisch kaufen. Es war schon fast Mittag. Ich glaube, auf den Straßen und an den Vorsetzen darf nur frühmorgens
     Fisch verkauft werden. Aber vielleicht irre ich mich. Ich wollte auch welchen. Also stand ich in der Menge. Die war gar nicht
     mehr groß, die Leute drängten trotzdem stets sofort nach, wenn jemand mit seinem gefüllten Korb gegangen war. Als sei dies
     für alle Zeiten die letzte Gelegenheit für frischen Fisch.»
    «War jemand dort, den Ihr kennt?»
    «Nein. Jedenfalls habe ich niemanden entdeckt.»
    «Und dann? Was geschah dann?»
    «Dann ging alles so schnell, ich erinnere mich kaum. Da war dieser Hund, ich konnte ihn gar nicht sehen, sondern nur sein
     Kläffen hören. Er verfolgte eine Katze, was die Leute sehr amüsierte. Die rannte in die Menge, der Hund hinterher – Ihr könnt
     Euch vorstellen, was dann geschah: Die Leute erschreckten sich, manche machten einen Spaß daraus, es wurde gedrängt und geschubst,
     und plötzlich lag ich im Wasser. Es war eiskalt, ich versuchte nach etwas zu greifen, aber da war nur dieses kalte Wasser
     und   …»
    «Das Wasser», drängte Proovt, als sie verstummte. «Und?»
    «Das weiß ich nicht. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf den Planken eines Ewers.»
    «Ihr habt großes Glück gehabt, Mademoiselle. Wäre der junge Steuer Euch nicht nachgesprungen, wer weiß, was geschehen wäre.
     Ihr habt von einem heftigen Gedränge gesprochen. Könnt Ihr Euch an den Moment erinnern, bevor Ihr fielt?»
    «Als ich den Stoß fühlte?»
    «Ihr wurdet gestoßen? Das habe ich befürchtet. Wisst Ihr, wer Euch stieß? Versucht Euch zu erinnern, Mademoiselle. Bitte.»
    «Ich gebe mir Mühe, Monsieur Proovt, aber ich kann mich nicht erinnern. Auch nicht an jemand Besonderes oder ein Gesicht.
     Ich fühlte einen Stoß im Rücken, das ist richtig, ich verstehe nicht, warum Euch das so erregt. Seid Ihr niemals in eine Menge
     geraten, der Ihr nicht entkommen konntet? Da spürt man viele Stöße. Ich hatte eben das Pech, zu nah am Wasser zu stehen. Doch
     nun möchte ich wissen, was Ihr denkt. Es geht Euch doch um mehr als um meinen Sturz.»
    Proovt nickte, drehte kleine Kugeln aus einem Stück Papier, das er inzwischen und ohne es wahrzunehmen, in winzige Fetzen
     gerissen hatte.
    «Ja, es geht nicht nur darum. Aber Euer Sturz heute, wollen wir ihn einmal Unglücksfall nennen, hat mir die Augen geöffnet.
     Ich bin nur nicht sicher, ob in die richtige Richtung. Die Idee wuchs schon, als ich Euch das erste Mal sah. Erinnert Ihr
     Euch? Es war bei Madame Benning, in ihrem Haus am Weg nach Neumühlen. Ihr maltet für sie das Muster des Kettenanhängers ihrer
     Nichte.»
    «Natürlich erinnere ich mich. Habt Ihr dort festgestellt, dass ich der Toten ähnlich sehe?»
    «Ja. Zunächst hielt ich Euch deshalb sogar für eine Verwandte.» Proovt war enttäuscht. Was er sich als besonderen Bonbon aufgehoben
     hatte, war gar keine Überraschung. Andererseits glaubte er nicht, dass sie diese Überraschung erfreut hätte. Es konnte nicht
     erfreuen, einer gerade Ermordeten ähnlich zu sehen. «Das scheint für Euch keine Neuigkeit zu sein.»
    «Madame Bennings Freundin, als deren Begleitung ich an jenem Tag dort war, fand das auch. Ich denke aber, die einzige Ähnlichkeit
     besteht in unserem Haar.»
    «Vielleicht. Dennoch. Ich möchte Euch nicht beunruhigen, Mademoiselle, aber könnte es in dieser Stadt Menschen geben, die
     Euch, nun ja, lasst es mich so ausdrücken: die nicht glücklich über Eure Anwesenheit sind?»
    «Ihr meint Leute, die mich töten wollen!?»
    «Nun ist es aber genug.» Helena schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. «Es gibt immer und überall Leute, die über Komödianten
     und ganz besonders Komödiantinnen in ihrer Stadt ‹nicht glücklich› sind. Fein gesagt, Polizeimeister, sehr fein. Wenn Ihr
     hier welche habt,die verrückt genug sind, uns lieber zu töten, als Komödie spielen zu lassen, ist es Eure Pflicht, sie zu fangen, und zwar
     möglichst bevor sie zur Tat schreiten. Wir sind fremd hier, wir kennen solche Leute nicht.»
    Proovt sah zuerst

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