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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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brüskierte es ihn nicht, wenn sie die engen Konventionen
     seiner Stadt verletzte. Das hatte sie als großzügiges Geschenk empfunden. Auch hatte sie nicht aufgehört, ihn zu lieben. Jedenfalls
     glaubte sie das. Nein, weggehen war letztlich keine Lösung. Dennoch musste sie es tun, selbst wenn er das erst recht nicht
     verstehen würde.
    Womöglich ging sie nur, um zu prüfen, ob er sie zurückholen würde. Das klang nach dem Spiel eines trotzigen Kindes. Leichtfertig.
     Auch gefährlich. Sie war kein Kind, nicht einmal mehr eine junge Frau, der die Torheiten der Unerfahrenheit und Unbeständigkeit
     nachgesehen werden konnten. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, energisch zu verhindern, dass Sophie abreiste, ohne sich mit ihrem
     Vater versöhnt zu haben. Stattdessen hatte sie die Gelegenheit genutzt, ihn auch zu verlassen. Ohne Grund, würde er sagen.
     Vielleicht hatte er damit Recht. Vielleichtwaren ihre Wünsche und Sehnsüchte vermessen. War es im Alltag überhaupt möglich, einander nah zu sein und zu bleiben, ohne
     sich selbst zu verlieren? War es für eine Frau möglich?
    «Du siehst nicht aus, als freutest du dich auf die Reise, Anne.» Eine schmale Hand schob sich unter ihren Arm, und sie sah
     in das trotz des frischen Windes blasse Gesicht ihrer Stieftochter. «Bereust du es? Aber nein», fuhr Sophie eilig fort, ohne
     Anne eine Gelegenheit zur Antwort zu geben, «natürlich tust du das nicht. Es wird eine wunderbare Reise werden. Ich war noch
     nie in London, wusstest du das? Und alle sagen, es sei eine phantastische Stadt, riesengroß und turbulent und gar nicht steif,
     und ich bin so froh, dass du uns begleitest, wirklich froh, und Jules sagt   …»
    «Sophie!» Anne unterbrach den etwas zu munteren Redeschwall und legte fest ihre Hand auf die der Jüngeren. Die Hand war kalt,
     und plötzlich wusste Anne, dass es nicht nur richtig, sondern auch unbedingt nötig war, mit Sophie und Jules zu reisen. Vor
     allem mit Sophie. «Nein», sagte sie, «ich bereue es nicht, obwohl ich inzwischen denke, wir hätten uns ein wenig mehr Zeit
     lassen sollen. Unsere so überstürzte Abreise muss deinen Vater sehr kränken.»
    «Glaubst du? Ich nicht. Er ist froh, mich so schnell wieder los zu sein. Ich bin ja nun die Schande der Familie. Das war doch
     das Einzige, was ihn interessierte. Hast du das vergessen? Und außerdem: Er hat mich auch gekränkt und dich, da bin ich sicher,
     kaum weniger. Du kannst ihn ruhig in Schutz nehmen, aber ich kenne ihn gut. Und wer hat mich denn mit Martin verheiratet,
     wer   …?»
    «Halt, Sophie. Nun tust du ihm unrecht. Du selbstwarst so entschlossen, Martins Frau zu werden, dass er dich kaum hätte aufhalten können.»
    «Das hätte er aber trotzdem getan, wenn Martin nicht so gut in seine Pläne gepasst hätte, wenn er irgendein armer Schreiber
     oder Prediger gewesen wäre.»
    «Das mag sein. Aber er hätte eine sehr viel bessere Partie für dich finden können. Und was ist dagegen einzuwenden? Seine
     Pläne entsprachen den deinen. Alles schien sich glücklich zu fügen. Er wollte das Beste für dich, daran kannst du nicht zweifeln.»
    Sophie starrte schweigend auf den Fluss, und Anne fuhr fort: «Für ihn ist das Beste nun mal ein sicheres, ehrbares Leben.»
    «Und?», fuhr Sophie auf und zog ihre Hand unter Annes hervor. «Ist Jules etwa nicht aus einer guten Familie? Ist er nicht
     ehrbar?»
    «Natürlich ist er das. Ich kenne ihn lange und beinahe so gut wie einen Bruder. Wäre ich nicht überzeugt, dass auch er nur
     das Beste für dich will, wäre ich nicht mit dir auf seinem Schiff.» Sie seufzte und verschränkte fröstelnd die Arme. «Es ist
     doch seltsam. Alle wollen das Beste, und allen wächst daraus Sorge und Streit.»
    «Für mich nicht. Glaub mir, Anne, ich will auch das Beste für mich. Aber ich will nicht, dass andere entscheiden, was das
     ist. Ich habe selbst entschieden, weil ich am besten weiß, was für mich richtig ist, und so ist es gut.»
    «Ja.» Anne nickte, auch wenn es aussah, als lasse sie nur den Kopf hängen. «Du hast sicher recht. So wird es gut sein.» Und
     ich hoffe, fügte sie in Gedanken hinzu, es wird gut bleiben. Gut genug, um am Ende – irgendwann – die Streitereien zu bereinigen.
    «Und jetzt», Sophie bemühte sich, allen Groll wegzuwischen, «wird der Tee fertig sein. Kommst du mit?»
    «Ja, natürlich. Tee ist jetzt wunderbar. Aber geh schon voraus, Sophie, ich komme gleich nach.»
    «Ach, Anne», Sophie hatte die

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