Die ungehorsame Tochter
behutsam wie nie, und bevor Claes die Köchin unsanft fortschicken
konnte, nickte Augusta ihr freundlich zu.
«Danke, Elsbeth. Stell das Tablett auf den Tisch, ich schenke uns selbst ein. Wenn es nötig ist.»
Die Tür schloss sich leise, und Augusta fuhr fort: «Ich kenne Annes Pläne nicht, es kann sein, dass sie sie selbst nicht genau
weiß. Sophie wollte die Stadt so schnell als möglich verlassen, genauer gesagt, dein Haus. Sie kam in einer für sie sehr schweren
Zeit zu dir, leider hast du nicht verstanden, ihr das Gefühl zu geben, dass das richtig war.»
«Was hätte ich denn tun sollen? Einfach ja sagen? Wunderbar, Sophie, wir sind alle sehr froh, wenn du dein Leben ruinierst!?»
Augusta schüttelte bekümmert den Kopf. «Ganz gewiss nicht, Claes. Du hättest dich nur bemühen sollen, sie zu verstehen. Ihr
zeigen, dass du es zumindest versuchst. Du kennst deine Tochter. Sie war immer ein quirliges, vergnügtes Geschöpf. Aber sie
war niemals leichtfertig. Du kannst nicht wirklich glauben, ein solcher Schritt sei für sie nur eine Caprice.»
«Ach was, Augusta. Dieser Braniff hat ihr den Kopf verdreht, mit seiner eleganten Brigg, seinen dunklen Augen und den Geschichten
vom Meer. Sie ist ihm nachgelaufen wie …»
«Hör auf! Kannst du denn immer nur Schuld zusprechen, und auch noch mit dem falschen Ziel? Er hat sie in Lissabon in einem
jammervollen Zustand vorgefunden. Dennoch war er nicht gleich bereit, sie mitzunehmen. Er hat versucht, ihr die fatale Bedeutung
ihres Wunsches deutlich zu machen. Er hat versucht, sie mit kleinen Ausflügen aufzuheitern, weil er hoffte, wenn sie zu ihrer
alten Lebenslust zurückfände, würde sie bleiben. Schließlich hat er sie doch mitgenommen, sie sind dort genauso überstürzt
abgereist wie hier. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber er betrachtet sich als Freund deines Hauses, ohne Zweifel zu Recht,
also muss er einen sehr guten Grund gehabt haben.»
«Natürlich hatte er das. Einer wie er nimmt sich, was er schmackhaft findet.»
«Das ist ekelhaft, Claes. Ich werde mit dir nicht länger darüber reden. Du willst sowieso nicht glauben, wenn ich dir sage,
dass er sie einzig nach Hause bringen wollte. Zudir. In Sicherheit, wie er dachte. Ihre Fahrt hat vier Wochen gedauert, und erst unterwegs haben sie sich ineinander verliebt.
Jedenfalls haben sie es erst dort bemerkt. Solche Dinge mögen für alle anderen unbequem sein, aber sie geschehen. Gott sei
Dank. Gott solltest du auch für Sophies Mut danken. Aber es ist sinnlos, wenn ich dir davon berichte. Du hättest Sophie danach
fragen sollen. Sie hat darauf gewartet und war – wie auch Captain Braniff – nur zu bereit, dir zu antworten.»
«Wann? Ich habe meine Geschäfte und Pflichten. Zuerst hat sie sich hinter einer Unpässlichkeit versteckt, dann konnte sie
nicht auf meine Rückkehr warten. Du weißt, dass ich fortmusste.»
«Das weiß ich nicht. Der Ärger mit der Lotsstation und mit den Helgoländern geht schon Monate, wenn nicht gar Jahre. Ein oder
zwei Wochen mehr hätten niemandem geschadet. Selbst wenn – deine Tochter kommt nach vier Jahren heim, in einer desperaten
Situation, die Geduld und Liebe erfordert, den Schutz ihrer Familie, und dir sind deine Geschäfte wichtiger. Ich will dir
noch etwas sagen, Claes. Du warst froh, reisen zu können, froh, alldem zu entkommen. Mit einfachen Worten: Du warst feige.
Und dafür kannst du lange nach einem Schuldigen suchen, du wirst immer wieder nur bei dir selbst ankommen. Auch jetzt bist
du feige. Du hältst dich mit der erneuten Flucht deiner Tochter auf, anstatt über deine Frau zu reden. Hast du das vergessen?
Auch Anne ist geflohen. Was willst du unternehmen?»
Augustas Gesicht war so gerötet wie seines bleich. Beide schwiegen. Das Ticken der Uhr, das Zirpen einer Ammer vor dem Fenster
– sonst war es still. Claes’ Herz begann heftig zu klopfen. Diese Szene, diese schrecklicheStille hatte er schon einmal erlebt. Erst vor wenigen Tagen.
«Es tut mir leid, dass ich so deutlich werden musste», sagte Augusta. «Nein, das stimmt nicht. Es tut mir nicht leid. Es bekümmert
mich, aber es war notwendig. Anne ist schweren Herzens gefahren. Ich habe sie nie so verstört und mutlos erlebt. Vielleicht
hätte sie es nicht getan, wäre da nicht diese Gelegenheit gewesen. Ich fürchte aber, Claes, ein wenig später hätte sich eine
andere Gelegenheit ergeben, und sie hätte diese genutzt. Womöglich war
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