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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Komödianten. Sie war grau und düster wie dieses ganze matt gehügelte
     Land, durch das sie von nun an ritten. Es wurde «die Heide» genannt, doch zu dieser Jahreszeit gedieh hier nicht einmal dieses
     anspruchslose Kraut. Das Land schien wie von einem räudigen graubraunenFell überzogen, selbst der Sand, der an etlichen Stellen hervorsah, war zumeist grau, und die kleinen notdürftig aufgekratzten
     Äcker, auf denen die wenigen Heidekätner Buchweizen zogen, sahen ebenso kärglich aus wie deren Hütten. Mattgrüne Inseln von
     krüppeligen Kiefern und kaum kniehohen Büschen von Schwarzer Krähenbeere stachen als Einzige aus dem Grau hervor. Der Himmel
     über dieser Wüstenei, auch er grau und kalt, zeigte seine ganze bedrohliche Endlosigkeit.
    Mit der Becker’schen Gesellschaft war sie diese Straße nie gefahren. Sie schlugen stets bei Lüneburg den belebteren Weg nach
     Magdeburg ein, so wie Klemens es auch für diese Reise geplant hatte. Auf der Lüneburger Poststation jedoch hatte ein Brief
     auf ihn gewartet, eine Nachricht, die verlangte, über Braunschweig und Wernigerode zu reiten. In einer seiner Minen hatte
     es einen Wassereinbruch gegeben, die Schöpfwerke versagten, kurz: Es waren Entscheidungen zu treffen, die seine Anwesenheit
     erforderten. Er hatte gelächelt und gesagt, sie brauche sich nicht zu sorgen. Er sei mit dem Weg vertraut, und diese Route
     werde kaum mehr Zeit kosten, umso weniger, als sie nicht über den Harz, sondern nur am Nordrand des Gebirges reiten müssten.
    Am Freitagmorgen war er wieder der, als den sie ihn kennengelernt hatte: freundlich, rücksichtsvoll und zuweilen unterhaltsam.
     Solange die Straße es erlaubte, ritt er neben ihr. Zwangen Schlammlöcher sie auf den Weg durch das Gestrüpp, ritt er nicht,
     wie es die Artigkeit auf einem unsicheren Pfad erforderte, voraus, sondern folgte ihr, sodass sie die Geschwindigkeit bestimmen
     konnte.
    Je länger sie ritten, umso dankbarer war sie Claes Herrmanns für seinen Fuchs. Der war tatsächlich ein großesPferd, doch von sanftem Naturell und unermüdlich. Nur einmal, am Morgen des dritten Tages, warf er sie beinahe ab. Sie ritten
     immer noch über die Heide, doch die Ödnis war nun schon von Grasinseln und windschiefen Birken unterbrochen. Als sie einen
     Bach durchquerten, leuchteten an dessen Ufern in gelben Tupfern der erste Huflattich, das fleischige Grün der Sumpfdotterblumen,
     und die bleierne Stille wurde von zaghaftem Vogelgesang unterbrochen. An diesem zweiten Morgen also, nahe den feuchten Niederungen
     um Gifhorn, erschrak der Fuchs so sehr, dass er plötzlich mit zornigem Wiehern stieg, mit der Hinterhand ausschlug, mit einem
     großen Satz vorwärtssprang und wie von Furien gehetzt über den Morast jagte. Sie wusste später nicht, wie sie sich im Sattel
     gehalten, wie sie ihn wieder beruhigt hatte, aber es war gelungen, und nachdem sie dieses Abenteuer bewältigt hatte, der Anlass
     konnte nur der Stachel einer trotz des kalten Wetters zu früh ausgeschwärmten Biene gewesen sein, fühlte sie sich im Sattel
     immer sicherer und wohler.
    Rosina hatte erwartet, auf dem langen Ritt über das einsame Land würden die Erinnerungen an jene schrecklichen Tage wie eine
     Flutwelle heranrollen. Doch erst am Sonntagabend, als sie das nach dem harten Winter zögernd ergrünende Braunschweiger Land
     erreichten, als Klemens sich wieder hinter Schweigsamkeit verbarg, waren sie plötzlich da.
    Damals ritt sie eine kleine ungarische Stute, ein temperamentvolles, ganz und gar kastanienbraunes Tier. Es geschah an dem
     Tag, an dem sie begriff, dass das Musikzimmer tatsächlich verschlossen blieb. «Natürlich bleibt es das», erklärte ihr Vater,
     «ich habe es doch gesagt. Hältst du mich für wankelmütig?» Sie bat um nur eineStunde am Tag. In der Woche. Oder wieder im Winter? Wenn es Winter wurde, gehört das Musizieren doch zu den langen Abenden,
     und wenn das Christfest kam   …
    Er strich ihr über den Kopf, sah lächelnd auf sie herab und sagte nein. Einfach nur nein. Dann verschwand er in seiner Bibliothek.
    Was blieb ihr nun noch? Der Stickrahmen, die Bibel, Spaziergänge unter dem Sonnenschirm, Tanzlehrerqualen. Für Botho sei die
     Jagd besser als die Musik? Warum nur für ihren Bruder, warum nicht auch für sie? Wollten sie ihr auch noch das Reiten verbieten?
    Sie rannte hinaus in den Hof und in den Stall, befahl dem Pferdejungen zu satteln, nein!, nicht den Damensattel, und preschte,
     kaum dass die

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