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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihre Abreise nicht richtig, ich weiß es nicht. Aber
     das ist völlig unwichtig. Wir tun eben nicht immer das Richtige, nicht einmal du. Anne ist alles andere als flatterhaft; wenn
     sie dieses Haus verlassen hat, dann hat sie Gründe. Du darfst sie damit nicht alleinlassen, Claes. Du musst sie zurückholen.»
    «Zurückholen? Wie stellst du dir das vor? Soll ich das bettelnde Hündchen auf ihrer Fährte spielen? Die ganze Stadt würde
     über mich lachen. Und sie hat nicht einmal geschrieben, wohin sie reisen wird.»
    «Stell dich nicht dumm.» Augusta griff ärgerlich nach der Karaffe und schenkte sich ein Glas Branntwein ein, das zweite ließ
     sie ganz gegen ihre Gewohnheit leer. «Sie haben erst gestern Abend, kurz bevor der Baum vor die Einfahrt geschoben wurde,
     den Hafen verlassen. Die Ebbe setzte in den frühen Morgenstunden ein, also hat Braniff erst dann die Segel setzen lassen,
     um die Strömung zu nützen. Muss ich dir erklären, wie man die Elbe hinabsegelt? Sitze hier nicht trotzig herum, sondern beeile
     dich, ein Schiff zu bekommen und ihnen nachzufahren. Die frische Luft wird deinen Kopf endlich klären. Ich habe Anne nicht
     mit Fragen bedrängt, aber es ist dochunwahrscheinlich, dass sie ein anderes Ziel als London und darauf Jersey haben. Ganz gewiss will Anne endlich ihre Familie
     besuchen, du hast ihr diese Reise seit Jahren versprochen, hast du das tatsächlich vergessen? Vor allem aber: Braniffs Brigg
     ist nahezu ohne Ladung, ganz sicher muss er vor Blankenese oder Glückstadt Ballast aufnehmen. Wenn du ein schnelles Schiff
     bekommst, kannst du sie noch in der Elbmündung einholen.» Augusta ließ sich erschöpft zurücksinken. Sie würde nie verstehen,
     warum falscher Stolz und Eitelkeit die Kraft hatten, Glück zu zerstören. «Claes! So sage doch etwas.»
    Claes sagte nichts. Er erhob sich, ging, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, zum Fenster und starrte hinaus.
    «Nein», sagte er schließlich gegen die Scheibe. «Nein, ich werde das nicht tun. Sie hat eine Entscheidung getroffen, für sich
     allein, wie sie es ständig tut. Ich verstehe das alles nicht, ich dachte, wir führten eine glückliche Ehe. Wenn sie will,
     dass ich ihr folge, hätte sie mir zumindest ihr Ziel nicht vorenthalten. Sie macht mich zu einem größeren Narren als Sophie
     ihren Mann. Maria», schloss er kalt, «hätte so etwas nie getan.»
    Da gab Augusta auf. Es war keinesfalls gewiss, was Claes’ erste Frau getan oder nicht getan hätte, diese Ausflucht in die
     weit zurückliegende Vergangenheit zeigte jedoch, dass er sich tief hinter seinem verletzten Stolz vergrub. Es war sinnlos,
     an die Liebe zu seiner Frau und an die Vernunft seiner Handlungen zu appellieren.
Noch
sinnlos, hoffte sie.
    «Ich lasse dich jetzt allein, Claes. Wann immer du möchtest, bin ich für dich da.» An der Tür drehte sie sich noch einmal
     nach ihm um. Das Gefühl der Genugtuunghatte sie längst verlassen und war einer tiefen Verzagtheit gewichen. «Vielleicht glaubst du es jetzt nicht, Claes», sagte
     sie behutsam, «meine Worte mögen sich auch nicht so angehört haben, doch ich bin auf deiner Seite. Aus tiefem Herzen.»
    Er nickte steif, ohne sie anzusehen. Sein Rücken war so gerade, dass er vor Anstrengung schmerzen musste.
     
    Glückstadt, die kleine dänische Festung am nördlichen Ufer, duckte sich hinter ihren Mauern in die endlos flache Marsch. Die
     wenigen Masten im Hafen verrieten dessen Glücklosigkeit, die Rhin-Platte, eine mächtige Sandbank, versperrte größeren Schiffen
     die Einfahrt noch rigoroser als die Sände vor anderen Elbhäfen. Überall im Fluss lagen solche Barrieren, die ohne gute Lotsen
     schnell das Ende der Fahrt bedeuten konnten. Wer Pech hatte, lag trotz eines Lotsen tagelang vor Altona und Blankenese fest,
     bis die Flut endlich hoch genug auflief, um das Schiff darüber hinwegzuheben.
    Die
Anne Victoria
hatte Glück gehabt und beide Barren ohne Aufenthalt passieren können. Da hatte Anne Herrmanns zum ersten Mal ein leises Bedauern
     über die reibungslose Fahrt gespürt. Nicht, dass sie es sich eingestanden hätte, aber es erforderte doch Kraft, es beiseitezuschieben.
     Nun würden sie bald Cuxhaven passieren, den Standort der Hamburger Lotsen, und wenn die Brigg sich schließlich zwischen den
     Inseln Vogelsand, Scharhörn und Neuwerk hindurchschob und die letzte, die Rote Tonne passierte, ging der Lotse von Bord und
     ließ sich, falls dort nicht schon ein anderes Schiff für

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