Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
sprudelnde Begeisterung über ihr Abenteuer schon wiedergefunden und umarmte Anne wie eine bekümmerte
     Freundin, «du machst dir zu viele Sorgen. Hör einfach auf zu grübeln. Mein Vater ist wohl ein bisschen verknöchert, was in
     seinem Alter ganz normal ist, aber er ist weder dumm noch der unempfindsame Rechenkünstler, als der er sich gerne gebärdet.
     So ein kleiner Schrecken kann ihm nur guttun. Er wird dich furchtbar vermissen, und dann wird er dir folgen und dich heimholen,
     und alles wird wunderbar, und   … Na ja, vielleicht auch nicht. Dann hat er selbst Schuld. Wir machen uns ein vergnügtes Leben, und er hat das Nachsehen.»
     Damit flatterte sie über das Deck davon und verschwand in der Kapitänskajüte.
    Sicher hatte Sophie ihre Beschwörung dieser blühenden Zukunft gut gemeint, wie alle wollte ja auch sie das Beste, natürlich
     und großzügig, wie sie war, doch nicht nur für sich selbst. Ihr fröhliches Resümee «und er hat das Nachsehen» verwandelte
     sich in Annes Kopf jedoch umgehend in «und
wer
hat das Nachsehen?», was direkt in die nächste Grübelei führte und sie ihre unruhige Wanderung über das Deck wiederaufnehmen
     ließ.
    «Es gibt kein besseres Brautgeschenk», drang eine leise Stimme in ihr Bewusstsein. «So was find’st du nicht nochmal.» Eine
     zweite antwortete, noch leiser, sodass Anne die Worte nicht verstand. «Nimm’s in die Hand», drängte wieder die erste. «Merkst
     du, wie schwer das Ding ist? Das ist kein Blech, das ist richtiges Silber.»
    Sie war nahe dem Großmast an der Reling stehen geblieben und hatte die Männerstimmen schon eine ganze Weile miteinander wispern
     gehört. Aber sie waren zu leise und schienen auch nicht wichtig genug zu sein, um Annes eigene Gedanken zu übertönen. Nun
     hatte doch etwas ihre Aufmerksamkeit geweckt, irgendein Wort. Sie drehte sich um, aber da war niemand. Natürlich waren viele
     Männer auf dem Schiff, auch einige an Deck und in den Takelagen, aber die konnten es nicht sein. Jetzt sprach wieder der andere,
     der leisere. Es klang ganz nah, die beiden konnten also nur hinter dem vertäuten Beiboot nahe dem Großmast sitzen. Und dort
     entdeckte sie sie auch. Sie hockten, ihr die Rücken zugewandt, neben einem Segeltuchhaufen. Der linke, ein kleiner drahtiger
     Mann mit kräftigen Schultern, musste der Segelmacher sein. Niemand sonst an Bord hatte so abstehende Ohren an einem völlig
     kahlen Kopf. Den hielt er vorgebeugt, zwei weiße Linien liefen quer über seinen wettergegerbten Nacken. Er sprach mit der
     leiseren Stimme. Der andere, ein noch junger Mann mit hellem Haar, sah den Segelmacher an und wandte ihr so sein Profil zu.
     Ihn kannte sie nicht. Jedenfalls zeigte er keine Merkmale, die ihr schon jetzt, nach einem Tag an Bord, erlaubt hätten, sich
     an ihn zu erinnern.
    «Überleg’s dir», sagte der Hellhaarige, das Leisesprechen vergessend, «aber nicht bis Dover. Da hat es längst ein anderer,
     das ist ja ’ne echte Gelegenheit. Aber wenn du das nicht siehst   …» Er griff nach etwas, das der Kahle vor seinem Körper, vor Annes Blick verborgen, in den Händen hielt und immer noch unschlüssig
     betrachtete.
    «Nicht so schnell», rief der Kahle, «ich muss es doch erst genau ansehen.» Dabei streckte er die geschlosseneFaust hoch, der andere versuchte danach zu greifen, und plötzlich fiel etwas matt und silbrig Schimmerndes auf das Deck, rutschte
     über die Planken und landete vor Annes Füßen.
    Schnell bückte sie sich und hob es auf. Obwohl sie es nur als Zeichnung gesehen hatte, erkannte sie sofort die eckige Form,
     die beiden Tauben und das Herz. Auf der Rückseite hatte der Goldschmied in winzigen Buchstaben ein A und ein H eingeritzt.
     Der Handel, über den die Männer sich nicht einig werden konnten, ging um den silbernen Kettenanhänger der Toten aus der Elbe.
     A und H, Anna Hörne.
    SONNTAG, DEN 19.   MARTIUS,
ABENDS
    Die erste Nacht ihrer Reise hatten Rosina und Klemens in einer kleinen Herberge eine Meile hinter Lüneburg verbracht. Obwohl
     es noch eine gute Stunde bis zum Einbruch der Dunkelheit gedauert hätte und Klemens lieber weitergeritten wäre, hatte er schnell
     nachgegeben. Rosina war so lange Ritte nicht gewöhnt, und wenn sie den nächsten Tag durchstehen sollte, brauchte sie nun schon
     eine Rast. Es werde Tag um Tag besser gehen, versicherte sie ihm, er hatte genickt und die Pferde in den Stall geführt.
    Die Herberge erinnerte Rosina an ihre erste Nacht mit den

Weitere Kostenlose Bücher