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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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anfangen, und er würde seine Stimme erheben, so daß sie sich um die Betonpfeiler herum ausbreiten würde:
    »Wir haben euch viele Male besiegt. Diesmal seid ihr noch mehr, das sehe ich sehr wohl. Aber jeder von euch muß doch in seinem Innern wissen, daß ihr nicht gewinnen könnt. Und diesmal können mein Großvater und ich nicht dafür garantieren, daß nicht ein paar von euch ernsthaft verletzt werden. Es ist doch vollkommen sinnlos, hier so zu kämpfen. Ihr müßt doch alle mal ein Zuhause gehabt haben. Vater und Mutter. Vielleicht auch Geschwister. Ich möchte gern, daß ihr versteht, was hier vor sich geht. Eure Angriffe, die Tatsache, daß ihr ständig unsere Wohnung terrorisiert, das alles hat dazu geführt, daß meine Mutter nur noch weint. Sie ist dauernd angespannt und reizbar, und das führt dazu, daß sie oft völlig grundlos mit mir schimpft. Es hat auch dazu geführt, daß Papa ständig für lange Zeit fort muß, manchmal ins Ausland, was Mutter gar nicht gefällt. Und all das nur, weil ihr unsere Wohnung terrorisiert. Vielleicht macht ihr das ja bloß, weil ihr so viel Schneid habt, vielleicht kommt ihr ja auch aus zerrütteten Familien, und ihr wißt es einfach nicht besser. Deshalb versuche ich ja, euch klarzumachen, was hier wirklich vor sich geht, ich versuche, euch zu zeigen, was für Auswirkungen euer rücksichtsloses Verhalten hat. Früher oder später könnte es durchaus passieren, daß Papa gar nicht mehr nach Hause kommt. Vielleicht müssen wir sogar ganz aus der Wohnung wegziehen. Deshalb mußte ich Großvater herbringen, ihn wegholen von seiner wichtigen Arbeit als Verantwortlicher eines großen Hotels. Wir können es nicht zulassen, daß ihr mit dem weitermacht, was ihr da tut. Und deshalb kämpfen wir gegen euch. Jetzt, wo ich euch alles erklärt habe, könnt ihr noch einmal darüber nachdenken und dann gehen. Wenn nicht, wird Großvater und mir nichts anderes übrigbleiben, als wieder gegen euch zu kämpfen. Wir werden unser Möglichstes tun, euch k. o. zu schlagen, ohne euch dauerhaften Schaden zuzufügen, aber in solch einem großen Kampf können selbst wir bei all unserem Geschick nicht dafür garantieren, daß nicht einige von euch am Ende ein paar böse Prellungen oder sogar Knochenbrüche davontragen werden. Also ergreift eure Chance und geht weg.«
    Gustav würde diese Rede mit einem leisen, zustimmenden Lächeln bedenken, dann würden die beiden noch einmal prüfend in die rohen Gesichter um sich herum schauen. Eine beträchtliche Anzahl der Bandenmitglieder würde sich unsicher umgucken, eher Furcht als Vernunft würde sie veranlassen, noch einmal über alles nachzudenken. Aber dann würden die Anführer – schreckliche, finster dreinschauende Kerle – eine Art Kriegsgeschrei anstimmen, das sich beständig durch ihre Reihen fortpflanzen würde. Dann würden sie vorwärtsstürmen. Schnell würden Boris und sein Großvater auf Position gehen, sich Rücken an Rücken aufstellen, in sauberer Formation ihre ureigene, sorgfältig entwickelte Mischung aus Karate und anderen Kampfsportarten einsetzen. Die Bandenmitglieder würden von allen Seiten her auf sie zukommen, nur um dann wirbelnd, taumelnd, kreiselnd durch die Luft geschickt zu werden und dabei vor Verblüffung und Entsetzen zu grunzen, bis der Boden ein weiteres Mal mit Bewußtlosen übersät sein würde. Während der nächsten paar Minuten würden Boris und Gustav abwartend dastehen und alles genau beobachten, bis die Männer sich wieder rühren würden; manche würden stöhnen, andere würden den Kopf schütteln und festzustellen versuchen, wo sie sind. Zu diesem Zeitpunkt würde Gustav einen Schritt nach vorne machen und sagen:
    »Geht jetzt, laßt es jetzt gut sein. Laßt diese Wohnung in Frieden. Dies war ein glückliches Heim, bevor ihr angefangen habt, es zu terrorisieren. Wenn ihr noch einmal zurückkommt, werden mein Enkel und ich wohl oder übel damit anfangen müssen, euch die Knochen zu brechen.«
    Diese Rede würde kaum noch nötig sein. Die Bandenmitglieder würden wissen, daß sie diesmal gründlich besiegt worden seien, daß sie Glück gehabt hätten, nicht noch schlimmer verletzt worden zu sein. Langsam würden sie sich wieder aufrappeln und davonhumpeln, und dabei würden sie sich jeweils zu zweit oder zu dritt stützen, und viele würden vor Schmerzen stöhnen.
    Wenn erst einmal das letzte Mitglied der Gang sich hinkend davongemacht hätte, würden Boris und Gustav einen Blick stiller Zufriedenheit

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