Die Ungetroesteten
hergebracht.«
Die Frau zuckte mit den Schultern. »Du mußt ja wissen, was du tust.«
Wir standen in einem schwach erleuchteten Hausflur am Fuß einer Treppe. An der Wand ganz in meiner Nähe befanden sich eine Reihe mit Briefkästen und eine Feuerlöschvorrichtung. Als wir uns auf den Weg die erste Treppe hinauf machten – über uns waren mindestens noch fünf weitere Etagen -, kam von irgendwo oberhalb das Geräusch hinauflaufender Füße, und dann hörte ich Boris rufen: »Mutter!« Es waren freudige Ausrufe zu hören, noch einmal das Geräusch laufender Füße, und dann kam Sophies Stimme: »Ach, mein Schätzchen, mein Schätzchen!« Der irgendwie gedämpfte Ton ihrer Stimme ließ darauf schließen, daß sie sich umarmten, und bis die untersetzte Frau und ich auf dem Treppenabsatz angelangt waren, hatten die beiden sich schon in die Wohnung zurückgezogen.
»Fürchterliche Unordnung hier, tut mir leid«, sagte die Frau, während sie mich hineinführte.
Ich ging durch einen winzigen Flur in ein kombiniertes Wohnund Eßzimmer, das mit schlichten modernen Möbeln eingerichtet war. Ein großes Aussichtsfenster beherrschte das Zimmer, und als ich hereinkam, sah ich Sophie und Boris zusammen vor dem Fenster stehen, ihre Gestalten beinahe Silhouetten vor grauem Himmel. Sophie lächelte mir kurz zu, dann nahm sie ihre Unterhaltung mit Boris wieder auf. Sie schienen wegen irgend etwas ganz aufgeregt zu sein, und Sophie faßte Boris immer wieder bei den Schultern. An der Art, wie sie aus dem Fenster zeigten, meinte ich zu erkennen, daß Sophie womöglich erzählte, wie sie und die untersetzte Frau uns vorhin entdeckt hatten. Doch als ich näherkam, hörte ich Sophie sagen:
»Ja, wirklich. Es ist praktisch alles fertig. Wir müssen nur noch ein paar Sachen aufwärmen, die Fleischpastetchen zum Beispiel.«
Boris sagte etwas, das ich nicht verstand, worauf Sophie erwiderte:
»Natürlich machen wir das. Wir spielen, was du möchtest. Du kannst dir ja überlegen, für welches Spiel du dich entscheidest, wenn wir mit dem Essen fertig sind.«
Boris schaute seine Mutter fragend an, und mir fiel auf, daß sich jetzt eine gewisse Vorsicht in seinem Verhalten bemerkbar machte, die ihn davon abhielt, so aufgeregt zu sein, wie Sophie sich das vielleicht gewünscht hätte. Als er dann in einen anderen Teil des Zimmers ging, trat Sophie näher zu mir heran und schüttelte traurig den Kopf.
»Tut mir leid«, sagte sie leise. »Das war leider nichts. Es war sogar noch schlimmer als das im vorigen Monat. Die Aussicht ist überwältigend, es ist direkt an den Rand einer Klippe gebaut, aber es ist einfach nicht stabil genug. Herr Mayer war schließlich meiner Meinung. Er ist überzeugt, in einem heftigen Sturm könnte das Dach herunterkommen, und das sogar noch innerhalb der nächsten paar Jahre. Ich bin gleich zurückgefahren, ich war um elf Uhr schon wieder zu Hause. Tut mir leid. Du bist enttäuscht, das spüre ich.« Sie schaute zu Boris hinüber, der einen auf einem Regal liegengelassenen tragbaren Kassettenrekorder inspizierte.
»Davon muß man sich doch nicht unterkriegen lassen«, sagte ich seufzend. »Wir finden ganz bestimmt bald etwas.«
»Aber ich habe mir was überlegt«, sagte Sophie. »In dem Bus auf der Rückfahrt. Ich habe mir überlegt, daß es keinen Grund gibt, weshalb wir nicht auch jetzt schon allerhand zusammen unternehmen könnten, ob mit Haus oder ohne. Also habe ich sofort mit dem Kochen angefangen. Ich habe gedacht, wir könnten heute abend ein richtiges Fest feiern, nur wir drei. Ich weiß noch, wie Mutter das immer gemacht hat, als ich noch klein war, vor ihrer Krankheit war das. Sie hat ganz, ganz viele Kleinigkeiten vorbereitet und uns vorgesetzt, damit wir dann aussuchen konnten. Das waren ganz wunderbare Abende, und ich habe gedacht, na ja, es gibt doch keinen Grund, weshalb wir heute abend nicht dasselbe tun könnten, nur wir drei. Vorher habe ich nie wirklich daran gedacht, so wie die Küche hier ist, aber ich habe mich einmal gründlich umgeschaut und festgestellt, daß ich doch ziemlich dumm gewesen bin. Na schön, sie ist alles andere als ideal, aber etliches funktioniert doch. Also habe ich mit dem Kochen angefangen. Ich habe die ganze Zeit bis in den Nachmittag hinein gekocht. Und ich habe es geschafft, so ziemlich alles zu machen. Die ganzen Lieblingsgerichte von Boris. Es steht alles da und wartet auf uns, es muß nur noch aufgewärmt werden. Wir werden ein herrliches Fest feiern heute
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