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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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wechseln, sich umdrehen und dann zur Wohnung zurückgehen. Wenn sie hereinkommen, würden Sophie und ich – wir hätten die ganze Szene vom Fenster aus mitangesehen – sie jubelnd begrüßen. »Gott sei Dank ist es vorbei«, würde ich aufgeregt sagen. »Gott sei Dank.«
    »Ich habe schon angefangen, ein Festmahl zuzubereiten«, würde Sophie verkünden und dabei strahlen vor Glück, all die Anspannung wäre jetzt aus ihrem Gesicht gewichen. »Wir sind Großvater und dir so dankbar, Boris. Warum spielen wir heute abend nicht alle zusammen ein Brettspiel?«
    »Ich muß jetzt los«, würde Gustav sagen. »Ich habe im Hotel noch viel zu erledigen. Wenn es wieder Ärger gibt, sagt mir Bescheid. Aber ich bin sicher, es ist jetzt vorbei.«
    Wir würden Gustav hinterherwinken, während er die Treppe hinunterginge. Wenn wir die Tür geschlossen hätten, würden Boris, Sophie und ich uns für den Abend bereitmachen. Sophie würde ständig zwischen Küche und Wohnzimmer hin- und hergehen, das Abendessen kochen und unbeschwert vor sich hin singen, während Boris und ich auf dem Boden hocken würden und ganz in unser Brettspiel vertieft wären. Wenn wir dann etwa eine Stunde gespielt hätten, würde ich in einem Moment, in dem Sophie gerade nicht im Zimmer ist, plötzlich ganz ernst zu Boris aufschauen und ruhig sagen:
    »Danke für alles, was du getan hast, Boris. Jetzt kann alles wieder so werden wie früher. So wie alles früher war.«
    »Guck mal!« rief Boris, und ich merkte, daß er wieder neben mir stand und über die Mauer hinweg zeigte. »Guck mal! Da ist Tante Kim!«
    Tatsächlich war da eine Frau recht weit unter uns und winkte hektisch zu uns herauf, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Sie trug eine grüne Strickjacke, die sie eng um den Körper gezogen hatte, und ihr Haar wehte unordentlich hin und her. Als sie merkte, daß wir sie endlich entdeckt hatten, rief sie etwas, doch es drang nicht durch den Wind.
    »Tante Kim!« rief Boris hinunter.
    Die Frau gestikulierte und rief dann wieder etwas.
    »Komm, wir gehen runter«, sagte Boris und fing an vorauszulaufen; plötzlich war er wieder ganz aufgeregt.
    Ich folgte Boris mehrere Treppenläufe aus Beton hinunter. Als wir auf der untersten Ebene angekommen waren, traf uns der Wind sofort mit voller Wucht, doch Boris gelang es noch, der Frau eine taumelnde Bewegung vorzuführen, als ob er nach einem Fallschirmsprung gelandet wäre.
    »Tante Kim« war eine untersetzte Frau um die Vierzig, deren leicht strenges Gesicht mir irgendwie vertraut war.
    »Ihr müßt taub sein, ihr beide«, sagte sie, als wir zu ihr kamen. »Wir haben euch aus dem Bus aussteigen sehen, und wir haben gerufen und gerufen, aber habt ihr uns etwa gehört? Und dann bin ich heruntergekommen, und ihr wart verschwunden.«
    »Ach herrje«, erwiderte ich. »Wir haben nichts gehört, oder, Boris? Das muß an dem Wind liegen. Also« – ich schaute mich um -, »ihr habt uns von eurer Wohnung aus beobachtet.«
    Die untersetzte Frau deutete vage auf eines der unzähligen Fenster, die auf uns herabsahen. »Wir haben gerufen und gerufen.« Dann drehte sie sich zu Boris und sagte: »Deine Mutter ist da oben, junger Mann. Sie kann es gar nicht abwarten, dich zu sehen.«
    »Mutter?«
    »Du kommst am besten gleich mit rauf, sie kann es gar nicht abwarten, dich zu sehen. Und weißt du was? Den ganzen Nachmittag kocht sie schon und bereitet das herrlichste Festmahl vor für heute abend, wenn du wieder nach Hause kommst. Du wirst es kaum glauben, sie sagt, sie hat alles vorbereitet, all deine Lieblingsgerichte, alles, was du dir nur denken kannst. Gerade noch hat sie mir davon erzählt, und dann haben wir aus dem Fenster geschaut, und da warst du und bist aus dem Bus gestiegen. Hört mal, ich warte schon seit einer halben Stunde auf euch Jungs, ich bin ganz durchgefroren. Müssen wir noch länger hier draußen stehen?«
    Sie hatte die Hand ausgestreckt. Boris ergriff sie, und wir gingen alle auf den Gebäudeteil zu, auf den sie gedeutet hatte. Als wir näher kamen, lief Boris voraus, stieß eine Brandschutztür auf und verschwand im Inneren. Die Tür schlug zu, als die untersetzte Frau und ich herankamen. Sie hielt sie mir auf, und dabei sagte sie: »Solltest du im Moment nicht irgendwo anders sein, Ryder? Sophie hat mir gerade erzählt, daß den ganzen Nachmittag bei ihr das Telefon gegangen ist. Man hat dich gesucht.«
    »Tatsächlich? Aha. Na, wie du siehst, bin ich hier.« Ich lachte. »Ich habe Boris

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