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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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abend nicht.«
    »Das ist furchtbar nett von dir«, sagte ich. »Aber bist du auch sicher, daß wir dir nicht...«
    »Ach, laß doch den Quatsch, Ryder. Ihr braucht den Wagen. Ihr habt keine andere Möglichkeit, rechtzeitig zur Galerie Karwinsky zu kommen. Selbst mit Auto müßtet ihr euch jetzt gleich auf den Weg machen.«
    »Ja«, entgegnete ich, »genau das habe ich auch gerade gedacht. Aber hör mal, wir wollen dir wirklich keine Unannehmlichkeiten machen.«
    »Ihr könnt dafür ein paar Bücherkisten mitnehmen. Ich werde sie nicht tragen können, wenn ich morgen mit dem Bus in die Stadt muß.«
    »Ja, natürlich. Das machen wir doch gern.«
    »Bringt sie einfach morgen früh, irgendwann bis zehn Uhr, zum Laden von Hermann Roth.«
    »Mach dir keine Sorgen, Kim«, sagte Sophie, bevor ich antworten konnte. »Ich werde mich um alles kümmern. Du bist so gut zu uns.«
    »Na schön, dann macht ihr euch jetzt wohl besser auf den Weg. He, junger Mann« – die untersetzte Frau zeigte auf Boris – »hilfst du mir mal, diese Bücher einzupacken?«
    Während der nächsten paar Minuten stand ich allein beim Fenster und schaute hinaus. Die anderen waren in ein Schlafzimmer verschwunden, und ich hörte sie hinter mir reden und lachen. Ich dachte, ich sollte hineingehen und ihnen helfen, aber dann überlegte ich mir, daß es wichtiger wäre, die Gelegenheit zu ergreifen und meine Gedanken für den vor mir liegenden Abend zu sammeln, und so starrte ich weiter auf den künstlichen See hinaus. Ein paar Kinder hatten angefangen, am anderen Ufer einen Ball gegen einen Zaun zu schießen, doch ansonsten war um den See herum kein Mensch zu sehen.
    Schließlich hörte ich, wie mich die untersetzte Frau rief, und mir wurde bewußt, daß sie darauf warteten, daß wir gehen könnten. Ich ging in den Flur und fand Sophie und Boris vor; beide trugen einen Pappkarton und waren schon dabei, in den Hausflur hinauszugehen. Sie fingen an, über etwas zu streiten, während sie sich auf den Weg die Treppen hinunter machten.
    Die untersetzte Frau hielt mir die Wohnungstür auf. »Sophie ist fest davon überzeugt, daß alles gut laufen wird heute abend«, sagte sie mit gesenkter Stimme. »Also enttäusche sie nicht wieder, Ryder.«
    »Keine Sorge«, sagte ich. »Ich kümmere mich schon darum, daß alles glattgeht.«
    Sie sah mich streng an, drehte sich um und ging dann mit den Schlüsseln rasselnd die Treppe hinunter. Ich ging hinterher. Wir waren zwei Etagen hinuntergegangen, als ich sah, daß eine Frau mit müdem Schritt die Treppe heraufkam. Die Gestalt murmelte »Entschuldigung« und drängelte sich an der untersetzten Frau vorbei, und wir waren auch schon aneinander vorübergegangen, bevor ich merkte, daß es Fiona Roberts war, die immer noch ihre Fahrkartenkontrolleurs-Uniform trug. Auch sie schien mich erst im allerletzten Moment zu erkennen – im Treppenhaus war sehr schlechtes Licht -, doch sie drehte sich müde weg, die Hand hatte sie auf dem Metallgeländer liegen, und sagte:
    »Ach, da bist du ja. Wie lieb von dir, daß du so pünktlich bist. Tut mir leid, ich komme ein bißchen später als verabredet. Es gab eine Umleitung bei einer Bahn im östlichen Bezirk, also hat meine Schicht viel länger gedauert. Ich hoffe, du hast nicht allzulange hier gewartet.«
    »Nein, nein.« Ich ging ein oder zwei Schritte zurück. »Überhaupt nicht. Aber leider ist mein Terminplan jetzt gerade sehr eng...«
    »Das ist schon in Ordnung, ich werde deine Zeit nicht länger als unbedingt notwendig in Anspruch nehmen. Eigentlich muß ich dir was sagen. Ich habe bei den Mädels herumtelefoniert, wie wir das vereinbart hatten, ich habe während der Pause von der Kantine im Depot aus angerufen. Ich habe ihnen gesagt, sie möchten sich darauf einstellen, daß ich einen Freund mitbringe, aber ich habe ihnen eben nicht gesagt, daß du der Freund bist. Das wollte ich zuerst eigentlich, genau wie wir das abgemacht hatten, aber als erste habe ich Trude angerufen, und kaum habe ich diese Stimme gehört, die Art, wie sie sagte: ›Ach ja, Sie sind es, meine Liebe‹, da habe ich so viel in dieser Stimme gehört, soviel Herablassung, so viel Gift und Galle. Ich habe förmlich gespürt, wie sie den ganzen Tag über mich geredet hat, mit Inge und den anderen, wie sie einen Anruf nach dem anderen gemacht hat, wie sie über den vergangenen Abend debattiert und wie dann alle so getan haben, als hätten sie Mitleid mit mir, wie sie gesagt haben, daß sie mich voller

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