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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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nach gegrilltem Fleisch empfing uns. Der Raum war riesig, und es gab lange Reihen mit ovalen Tischen. An allen Seiten waren großformatige Glasscheiben, durch die wir den weithin sich erstreckenden Himmel sehen konnten. Von irgendwo aus weiter Ferne hörte man die Geräusche der Landstraße unter uns.
    Boris lief zur Selbstbedienungstheke und nahm sich ein Tablett. Ich bat Sophie, mir ein Mineralwasser mitzubringen, und ging voran, um einen Tisch auszusuchen. Es waren nicht viele Gäste im Restaurant – nur etwa vier oder fünf Tische waren besetzt -, doch ich ging ganz bis ans Ende einer der langen Reihen durch und setzte mich mit dem Rücken zu den Wolken.
    Nach einigen Minuten kamen Boris und Sophie mit ihren Tabletts den Gang zwischen den Tischen entlang. Sie setzten sich vor mich und fingen in merkwürdiger Stille an auszubreiten, was sie gekauft hatten. Da bemerkte ich, daß Sophie dem Jungen Blicke zuwarf, und ich nahm an, daß sie Boris, während sie an der Theke gewesen waren, gedrängt hatte, mir etwas zu sagen – etwas, das den während unseres jüngsten Wortwechsels angerichteten Schaden wiedergutmachen würde. Bis zu diesem Augenblick war es mir nicht in den Sinn gekommen, daß zwischen mir und Boris irgendeine Art Versöhnung nötig wäre, und es ärgerte mich, mit ansehen zu müssen, wie ungeschickt sich Sophie in die Situation einmischte. In dem Versuch, die Stimmung aufzuheitern, machte ich eine witzige Bemerkung über das futuristische Dekor um uns herum, doch Sophie gab zerstreut nur eine knappe Antwort und warf Boris einen weiteren Blick zu. Sie stellte sich so plump an, daß sie ihn genausogut mit dem Ellenbogen hätte anstoßen können. Boris schien sich verständlicherweise zu sträuben, sich dem Wunsch seiner Mutter zu fügen, und mürrisch fuhr er fort, ein Päckchen Nüsse, das er gekauft hatte, zwischen den Fingern herumzudrehen. Ohne aufzuschauen brummelte er endlich:
    »Ich habe ein Buch auf französisch gelesen.«
    Ich zuckte mit den Schultern und schaute auf den Sonnenuntergang. Ich merkte, daß Sophie Boris drängte, noch mehr zu erzählen. Schließlich sagte er schmollend:
    »Ich habe ein ganzes Buch auf französisch gelesen.«
    Ich drehte mich zu Sophie um und sagte: »Also ich bin nie so recht mit Französisch klargekommen. Mit dem Französischen habe ich immer noch mehr Probleme als mit dem Japanischen. Ja, wirklich. In Tokio komme ich besser zurecht als in Paris.«
    Sophie, die mit meiner Antwort vermutlich nicht zufrieden war, schaute mich streng an. Ihre drängende Art ärgerte mich, also drehte ich mich weg und schaute über die Schulter wieder in den Sonnenuntergang. Nach einer Weile hörte ich Sophie sagen:
    »Boris ist jetzt so viel besser in den Fremdsprachen geworden.«
    Als weder Boris noch ich antwortete, beugte sie sich zu dem Jungen und sagte:
    »Du mußt dich jetzt ein bißchen mehr anstrengen, Boris. Bald sind wir in der Galerie. Da werden viele Leute sein. Ein paar von denen sehen womöglich wichtig aus, aber du wirst doch keine Angst haben, nicht? Deine Mutter wird keine Angst vor ihnen haben, und du auch nicht. Wir werden allen zeigen, wie gut wir mit der Situation zurechtkommen. Wir werden richtig Eindruck machen, nicht?«
    Einen Augenblick lang drehte Boris sein kleines Päckchen mit den Nüssen wieder und immer wieder zwischen den Fingern herum. Dann schaute er auf und seufzte.
    »Keine Sorge«, sagte er. »Ich weiß schon, was man tun muß.« Dann setzte er sich gerade hin und fuhr fort: »Man steckt die eine Hand in die Hosentasche. So. Und dann hält man seinen Drink in der anderen, so.«
    Er hielt die Pose eine Weile, und dabei nahm er einen höchst arroganten Gesichtsausdruck an. Sophie brach in schallendes Gelächter aus. Auch ich konnte mir nicht helfen und mußte ein wenig lächeln.
    »Und wenn Leute auf einen zukommen«, fuhr Boris fort, »muß man nur andauernd sagen: ›Wirklich bemerkenswert! Wirklich bemerkenswert!‹ Oder wenn man will, kann man auch sagen: ›Ist ja köstlich! Ist ja köstlich!‹ Und wenn der Kellner mit lauter Sachen auf einem Tablett vorbeikommt, macht man das.« Boris zog ein säuerliches Gesicht und bewegte den Finger hin und her.
    Sophie lachte immer noch. »Ach, Boris, du wirst wirklich Eindruck machen heute abend.«
    Boris strahlte, er war sichtlich zufrieden mit sich. Dann plötzlich stand er auf und sagte: »Ich gehe jetzt auf die Toilette. Ich habe ganz vergessen, daß ich gehen wollte. Ich bin in einer Minute wieder

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