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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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»Ich glaube, ich sehe besser mal nach, was er will.«

ZWEIUNDZWANZIG
    Ich hörte, wie Parkhurst die Tür öffnete, und dann hörte ich draußen im Flur einen Streit. Schließlich kam Parkhurst zurück in das Zimmer, verdrehte die Augen und seufzte.
    Hinter ihm kam Brodsky herein. Er sah größer aus als beim letzten Mal, als ich ihn am anderen Ende eines Raumes voller Menschen gesehen hatte, und wieder fiel mir seine merkwürdige Haltung auf – er bewegte sich in leicht geneigtem Winkel, als würde er jeden Moment vornüberkippen -, doch ich sah auch, daß er vollkommen nüchtern war. Er trug eine scharlachrote Fliege und einen reichlich stutzerhaft wirkenden schwarzen Anzug, der brandneu zu sein schien. Die Ecken seines weißen Hemdes bogen sich nach außen – ob mit Absicht oder nach übertriebenem Stärken, konnte ich nicht sagen. Er hielt einen Blumenstrauß in der Hand, und seine Augen sahen müde und traurig aus. Brodsky blieb an der Türschwelle stehen und schaute zögernd um die Ecke, vielleicht in der Hoffnung, Miss Collins in dem Zimmer zu entdecken.
    »Sie hat zu tun, das habe ich Ihnen doch erklärt«, sagte Parkhurst. »Ich bin ein Vertrauter von Miss Collins, und ich kann Ihnen mit Bestimmtheit sagen, daß sie nicht den Wunsch hat, Sie zu sehen.« Parkhurst schaute zu mir und erwartete wohl, ich würde das bestätigen, doch ich beschloß, mich nicht hineinziehen zu lassen, und lächelte Brodsky nur vage zu. Erst da erkannte mich Brodsky.
    »Mr. Ryder«, sagte er und senkte feierlich den Kopf. Dann drehte er sich wieder zu Parkhurst um. »Wenn sie da drin ist, gehen Sie doch bitte und holen sie.« Er deutete auf seinen Blumenstrauß, als sei das schon Erklärung genug dafür, daß er sie so unbedingt sehen mußte. »Bitte.«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich kann Ihnen nicht helfen. Sie will Sie nicht sehen. Und überhaupt, sie ist gerade mit einigen Leuten im Gespräch.«
    »Na schön«, murmelte Brodsky. »Na schön. Sie wollen mir nicht helfen. Na schön.«
    Damit fing er an, sich auf die zweite Tür zuzubewegen, durch die Miss Collins vorher verschwunden war. Parkhurst verstellte ihm schnell den Weg, und einen Moment lang standen sich Brodskys hohe, schlaksige und Parkhursts kleine, stämmige Gestalt streitbar gegenüber. Parkhursts Methode, Brodsky aufzuhalten, bestand einfach darin, ihn mit beiden Händen vor die Brust zu stoßen. Brodsky hatte mittlerweile eine Hand auf Parkhursts Schulter gelegt und sah darüber hinweg auf die zweite Tür, als befände er sich in einer Menschenmenge und schaue höflich über die Person vor sich. Während der ganzen Zeit scharrte er beständig weiter mit dem Fuß und murmelte in gewissen Abständen immer wieder: »Bitte«.
    »Na gut!« rief Parkhurst schließlich. »Na gut, ich gehe hinein und spreche mit ihr. Ich weiß, was sie sagen wird, aber na gut, na gut!«
    Sie gingen auseinander. Dann sagte Parkhurst, wobei er den Finger hob:
    »Aber Sie warten hier! Das eine sage ich Ihnen, Sie warten hier!«
    Parkhurst warf noch einen letzten Blick auf Brodsky, drehte sich dann um und ging durch die Tür, die er fest hinter sich schloß.
    Zuerst stand Brodsky da und starrte auf die Tür, und ich dachte schon, er wolle Parkhurst folgen. Doch schließlich drehte er sich um und setzte sich.
    Eine ganze Weile schien Brodsky in Gedanken etwas zu proben, wobei die Lippen ab und zu ein Wort formten, und es kam mir unpassend vor, ihn anzusprechen. Von Zeit zu Zeit warf er einen prüfenden Blick auf den Blumenstrauß, als hinge alles nur davon ab und als bedeute der kleinste Makel daran einen entscheidenden Rückschlag. Nachdem wir dann eine Weile schweigend dagesessen hatten, sah er mich schließlich an und sagte:
    »Mr. Ryder. Es freut mich sehr, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen.«
    »Guten Tag, Mr. Brodsky«, erwiderte ich. »Ich hoffe, es geht Ihnen gut.«
    »Ach...« Er machte eine vage Geste mit der Hand. »Ich kann nicht gerade sagen, daß ich mich wohl fühle. Denn wissen Sie, da ist dieser Schmerz.«
    »Ach? Ein Schmerz?« Als er nichts darauf sagte, fragte ich: »Sie meinen, ein seelischer Schmerz?«
    »Nein, nein. Es ist eine Verwundung. Ich habe sie seit vielen Jahren, und ständig macht sie mir Kummer. Ein übler Schmerz. Vielleicht habe ich deshalb auch so viel getrunken. Wenn ich trinke, spüre ich den Schmerz nicht.«
    Ich wartete darauf, daß er fortfahren würde, doch er schwieg. Nach einer Weile fragte ich:
    »Sie sprechen von einem Herzensschmerz, Mr.

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