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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Situationen gewesen. Auch wenn ich nicht so gut vorbereitet war, wie ich das gern gehabt hätte, würde ich höchstwahrscheinlich immer noch eine Rede von beträchtlicher Überzeugungskraft halten können. Während ich weiter so im Sonnenlicht dasaß, stellte ich fest, daß ich immer ruhiger wurde und mich auch mehr und mehr darüber wunderte, daß ich mich in einen solchen Zustand der Nervosität hineinmanövriert hatte.
    »Also, ich frage mich gerade«, sagte da plötzlich der stämmige Mann zu mir, »ob du immer noch Kontakt zu der alten Clique hast. Zu Tom Edwards vielleicht? Oder zu Chris Farleigh? Oder zu den beiden Mädchen, die im Flooded Farmhouse gewohnt haben?«
    Da sah ich, daß der stämmige Mann Jonathan Parkhurst war, den ich während meiner Studentenzeit in England recht gut gekannt hatte.
    »Nein«, antwortete ich, »leider ist der Kontakt zu den Leuten von damals abgerissen. Wenn man wie ich ständig im Ausland unterwegs ist, dann ist es einfach unmöglich, in Verbindung zu bleiben.«
    Er nickte, lächelte aber nicht. »Ja, ich kann mir denken, daß das ganz schön schwierig ist«, sagte er. »Na ja, jedenfalls erinnern sie sich noch alle an dich. Ja, wirklich. Als ich letztes Jahr in England war, habe ich ein paar von ihnen getroffen. Offensichtlich treffen sie sich einmal im Jahr oder so. Manchmal beneide ich sie richtig, aber meistens bin ich doch froh, daß ich nicht in so einer Umgebung steckengeblieben bin. Deshalb lebe ich ja so gerne hier, weil ich hier sein kann, wer ich sein will, die Leute erwarten hier nicht von mir, daß ich die ganze Zeit den Clown spiele. Aber weißt du, als ich zurückgefahren bin, als ich die anderen in diesem Pub getroffen habe, da haben sie sofort alle wieder damit angefangen. ›He, da ist ja der alte Parkers!‹ haben sie alle gerufen. So nennen sie mich immer noch, als wäre seit damals überhaupt keine Zeit vergangen. ›Parkers! Da ist ja der alte Parkers!‹ Und dann haben sie doch tatsächlich wieder mit diesem gellenden Eselsgeschrei angefangen, um mich zu begrüßen, als ich hereinkam, du meine Güte, ich kann dir gar nicht sagen, wie entsetzlich das war. Und ich spürte, daß ich mich wieder in den erbärmlichen kleinen Clown verwandelte, von dem ich hatte wegkommen wollen, als ich hierhergezogen bin, ja, in dem Moment haben sie tatsächlich mit diesem Eselsgeschrei angefangen. Das war wirklich ein nettes Pub, da kann man nichts sagen, ein typisches altes englisches Pub auf dem Land, mit richtigem Kaminfeuer, mit all diesen kleinen Messingsachen überall an den Wänden, mit einem jovialen Wirt, der witzige Sachen sagte, das erinnerte einen alles an die gute alte Zeit, jetzt, wo ich hier lebe, vermisse ich das alles wirklich. Aber sonst, mein Gott, ich fange schon an zu zittern, wenn ich nur daran denke. Sie haben dieses Eselsgeschrei angefangen und doch tatsächlich von mir erwartet, daß ich an den Tisch gehüpft komme und ihnen den Clown mache. Und den ganzen Abend über haben sie einen Namen nach dem anderen erwähnt, es war nicht einmal so, daß sie über die Leute gesprochen hätten, sie haben einfach nur mit ihrem Geschrei weitergemacht oder sonstwie sofort gelacht, wenn sie noch einen Namen erwähnt hatten. Weißt du, sie haben zum Beispiel Samantha gesagt, und schon haben sie alle gelacht und gejubelt und gebrüllt. Dann haben sie einen anderen Namen herausgeschrien, Roger Peacock etwa, und sind dann alle auf so eine Art Fußballsingsang verfallen. Es war wirklich entsetzlich. Aber am schlimmsten war, sie haben alle von mir erwartet, daß ich wieder der Clown bin, und ich konnte einfach nichts dagegen machen. Es war, als wäre es völlig undenkbar, daß ich ein anderer hätte werden können, also habe ich wieder damit angefangen, die komischen Stimmen, die Gesichter, o ja, ich merkte, daß ich das alles noch ganz gut konnte. Ich nehme an, sie hatten keine Veranlassung zu glauben, daß ich hier unten nicht genauso weitergemacht hatte. Genau das hat dann doch tatsächlich einer von ihnen gesagt. Ich glaube, es war Tom Edwards, irgendwann im Lauf des Abends, sie waren schon alle sehr betrunken, hat er mir kräftig auf den Rücken geschlagen und gesagt: ›Parkers! Die müssen dich da unten wirklich lieben! Parkers!‹ Ich glaube, das war gerade, nachdem ich so eine kleine Vorstellung für sie gegeben hatte, vielleicht hatte ich ihnen gerade etwas über mein Leben hier erzählt und das Ganze mit meinen Clownerien ein bißchen ausgeschmückt, wer

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