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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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noch einmal verwandelte sich Parkhurst in dieses überhebliche Wesen, und seine Stimme nahm einen unnatürlich hochtrabenden Ton an -: »›Ich habe viel zuviel zu tun. Ich kann es mir nicht leisten, heute abend wieder nicht zu üben. Ich habe schon zwei Tage mit dem Üben aussetzen müssen wegen dieser schrecklichen Prüfungen!‹ Dann haben sie alle zusammen wieder diese Würgelaute von sich gegeben und haben so getan, als würden sie in der Luft Klavier spielen, und danach fangen sie dann immer an... Na, also, von diesen anderen Sachen werde ich dir nichts erzählen, sie sind wirklich widerlich, sie sind alle abscheulich und so unglücklich, die meisten jedenfalls, so enttäuscht und zornig.«
    Während Parkhurst noch geredet hatte, war mir das Bruchstück einer Erinnerung an meine Studententage durch den Kopf gegangen, eine Erinnerung, die mich für den Augenblick ganz ruhig werden ließ, und zwar so ruhig, daß es mich eine Weile lang gar nicht kümmerte, was Parkhurst da erzählte. Ich dachte an einen Morgen ähnlich dem heutigen, als ich mich auch auf einem Sofa neben einem sonnigen Fenster ausgeruht hatte. Ich befand mich in meinem kleinen Zimmer in dem alten Bauernhaus, das ich mir mit vier weiteren Studenten teilte. Auf meinem Schoß lag die Partitur eines Konzerts, die ich während der vergangenen Stunde eher gleichgültig studiert hatte und die ich in dem Moment, so überlegte ich, zugunsten eines der Romane aus dem neunzehnten Jahrhundert weglegen wollte, die sich nahe bei meinen Füßen auf dem Parkettboden stapelten. Das Fenster stand offen und ließ so einen milden Lufthauch herein, und von draußen drangen die Stimmen mehrerer Studenten, die auf dem ungemähten Gras saßen und über Philosophie oder Lyrik oder sonst etwas diskutierten. In meinem kleinen Zimmer hatte es außer dem Sofa kaum etwas gegeben – nur eine Matratze auf dem Fußboden und in einer Ecke einen kleinen Schreibtisch und einen geraden Stuhl -, aber ich hatte es sehr gemocht. Oftmals war der Boden völlig übersät mit den Büchern und Zeitschriften, die ich an diesen langen Nachmittagen durchblätterte, und ich hatte mir angewöhnt, meine Tür offenstehen zu lassen, so daß alle, die zufällig vorbeikamen, immer hereinkommen und sich ein wenig mit mir unterhalten konnten. Ich schloß die Augen und war einen Moment lang überwältigt von einer starken Sehnsucht, wieder in diesem kleinen Bauernhaus zu sein, umgeben von weitläufigen Feldern und von Gefährten, die in dem hohen Gras faulenzten, und erst eine ganze Weile später drang zu mir durch, was Parkhurst da eigentlich erzählte. Erst da wurde mir bewußt, daß es ja teilweise diese Leute gewesen waren, deren Gesichter jetzt in der Erinnerung zu einem einzigen verschmolzen waren und die ich damals träge willkommen geheißen hatte, wenn sie in mein Zimmer geschaut hatten, und mit denen ich lässig ein oder zwei Stunden verbracht hatte, um über einen Romanautor oder einen spanischen Gitarristen zu diskutieren, ja, daß es dieselben Leute gewesen waren, von denen Parkhurst da gerade erzählte. Doch selbst jetzt – ein dermaßen sinnliches Vergnügen empfand ich, während ich mich so in dem sonnendurchfluteten Erker in dem Korbsofa von Miss Collins zurücklehnte -, selbst jetzt verspürte ich nicht mehr als ein undeutliches und schwaches Mißbehagen bei Parkhursts Worten.
    Er redete immer weiter, und ich beachtete ihn schon längst nicht mehr, als ich von einem Geräusch aufgeschreckt wurde, das jemand verursachte, der von draußen gegen die Fensterscheibe hinter mir klopfte. Parkhurst schien das nicht wahrnehmen zu wollen und redete einfach weiter, und auch ich versuchte, das Geräusch nicht zu beachten, so wie man einen Wecker ignoriert, wenn man aus wohligem Schlaf gerissen wird. Doch das Klopfen hielt an, und schließlich unterbrach Parkhurst seine Erzählung und sagte: »Ach du meine Güte, das ist ja dieser Brodsky.«
    Ich öffnete die Augen und sah über die Schulter zurück. Tatsächlich gab sich Brodsky alle Mühe, in das Zimmer zu schauen. Die Helligkeit draußen, vielleicht aber auch eine Art Sehschwäche von Brodsky, schien es ihm schwer zu machen, hineinsehen zu können. Das Gesicht hatte er gegen die Scheibe gepreßt, und die Augen beschattete er mit beiden Händen, aber er schien uns immer noch nicht zu sehen, und ich dachte, er klopfe an die Scheibe in der Überzeugung, Miss Collins selbst befinde sich in dem Zimmer.
    Schließlich stand Parkhurst auf und sagte:

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