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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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ich ihnen zeigen kann, daß ich mich geändert habe. ›Parkers! Parkers! ‹ Ach, sie widern mich an...«
    »Sieh mal«, sagte ich und hatte plötzlich überhaupt keine Geduld mehr mit ihm, »wenn sie dich so sehr aufregen, warum sagst du ihnen dann nicht einfach die Meinung? Warum trittst du ihnen beim nächstenmal nicht entgegen? Sag ihnen doch, daß sie mit diesem Eselsgeschrei aufhören sollen. Und frag sie, wieso, wieso um alles in der Welt sie mich so sehr hassen. Wieso sie mein Erfolg so sehr kränkt. Ja, frag sie das! Ja, wieso bemühst du dich nicht um den größtmöglichen Effekt und sagst ihnen das alles mitten in deiner Clown-Nummer? Ja, genau, mitten in einer von deinen Anekdoten, wenn du all diese komischen Stimmen nachmachst und Fratzen schneidest. Wenn sie alle lachen und dir auf den Rücken schlagen und so entzückt sind, weil du dich überhaupt nicht verändert hast, mach es genau in dem Moment. Frag sie ganz unvermittelt: ›Wieso? Wieso reizt euch Ryders Erfolg so sehr?‹ Das solltest du tun. Damit würdest du nicht nur mir einen Gefallen tun, das würde vor allem diesen Idioten in einem einzigen eleganten Schachzug zeigen, was für ein unvermutet tiefgründiger Charakter hinter deiner Clowns-Fassade steckt und immer schon gesteckt hat. Ein Mensch, den man nicht so leicht manipulieren oder bloßstellen kann. Das würde ich dir raten.«
    »Das ist ja alles gut und schön!« rief Parkhurst ärgerlich. »Für dich ist es kein Problem, so etwas zu sagen! Du hast ja nichts zu verlieren, dich hassen sie ja sowieso schon alle! Aber das sind meine ältesten Freunde. Wenn ich hier bin, umgeben von all diesen Kontinentaleuropäern, geht es mir die meiste Zeit über ganz gut. Doch dann und wann passiert etwas, etwas Unangenehmes, und dann sage ich mir: ›Na schön, was soll’s? Das sind eben Ausländer. In meinem eigenen Land habe ich gute Freunde, ich brauche bloß zurückzugehen, dort warten sie alle auf mich.‹ Das ist ja alles gut und schön, du mit deinen klugen Ratschlägen. Andererseits, wenn ich so darüber nachdenke, ist es für dich vielleicht gar nicht gut und schön. Wie kann man nur so selbstgefällig sein! Du kannst es dir genausowenig leisten wie ich, deine alten Freunde zu vergessen. Sie haben schon irgendwie recht mit manchem, was sie da sagen. Du bist selbstgefällig, und eines Tages wirst du dafür bezahlen müssen. Bloß weil du jetzt berühmt bist. Sie haben irgendwie recht, weißt du. ›Warum trittst du ihnen nicht entgegen?‹ Was für eine arrogante Haltung!«
    In diesem Stil fuhr Parkhurst noch eine ganze Weile fort, aber ich hörte nicht mehr zu. Denn durch seinen Hinweis auf meine »Selbstgefälligkeit« fiel mir plötzlich wieder ein, daß meine Eltern in Kürze hier in der Stadt ankommen würden. Und da überkam es mich, dort im Salon von Miss Collins, mit eiseskalter Panik wurde mir plötzlich klar, daß ich das Stück, das ich heute abend vor ihnen zur Aufführung bringen wollte, überhaupt nicht vorbereitet hatte. Tatsächlich war es mehrere Tage, vielleicht sogar schon Wochen, her, daß ich das Klavier überhaupt angerührt hatte. Und da stand ich nun, nur wenige Stunden vor dieser wichtigsten aller Vorstellungen, und hatte nicht einmal eingeplant zu üben. Je mehr ich über meine Situation nachdachte, desto besorgniserregender erschien sie mir. Ich begriff, daß ich mich gezwungenermaßen viel zu sehr mit der Rede beschäftigt hatte, die ich halten sollte, und daß ich darüber unerklärlicherweise das viel wichtigere Problem des Konzertes völlig vernachlässigt hatte. Tatsächlich konnte ich mich im Augenblick nicht einmal mehr daran erinnern, welches Stück ich ausgesucht hatte. War es Yamanakas Globestructures: Option II? Oder war es Mullerys Asbestos and Fibre? An beide Stücke konnte ich mich, als ich versuchte, sie mir ins Gedächtnis zu rufen, beunruhigenderweise nur noch sehr vage erinnern. In beiden Stücken, so wußte ich noch, gab es Passagen von großer Komplexität, als ich jedoch versuchte, weiter über diese Teile nachzudenken, mußte ich feststellen, daß ich mich an fast gar nichts erinnern konnte. Und in der Zwischenzeit waren, soweit ich wußte, meine Eltern bereits hier in der Stadt eingetroffen. Ich begriff, daß ich keine Minute mehr verlieren durfte, daß ich, was auch immer man für Anforderungen an meine Zeit stellen mochte, jetzt sofort für mindestens zwei Stunden Ruhe und Abgeschiedenheit mit einem guten Klavier sorgen mußte.
    Parkhurst

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