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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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redete immer noch voller Ernsthaftigkeit.
    »Also hör mal, es tut mir leid«, sagte ich und ging Richtung Tür. »Ich muß jetzt sofort gehen.«
    Parkhurst sprang auf, und seine Stimme nahm auf einmal einen bittenden Klang an.
    »Ich halte mich immer raus, weißt du. Wirklich, ich mache nie mit dabei.« Er kam mir hinterher, als wolle er mich am Arm packen. »Ich lächle nicht einmal. Das ist widerlich, wie sie so über dich herziehen...«
    »Ja, sehr schön, und ich bin dir auch dankbar«, sagte ich und wich ihm aus. »Aber ich muß jetzt wirklich gehen.«
    Ich verließ die Wohnung von Miss Collins und eilte auf die Straße hinaus, inzwischen konnte ich an nichts anderes mehr denken, als ins Hotel und zu dem Klavier im Salon zurückzukommen. Tatsächlich war ich so in Gedanken, daß ich es im Vorbeigehen nicht nur versäumte, einen Blick auf das kleine Eisentor zu werfen, sondern daß ich auch Brodsky, der vor mir auf dem Bürgersteig stand, erst sah, als ich schon praktisch über ihn gestolpert war. Brodsky verbeugte sich und begrüßte mich ganz ruhig, als hätte er mein Näherkommen schon seit einer ganzen Weile beobachtet.
    »Mr. Ryder. So trifft man sich wieder.«
    »Ach, Mr. Brodsky«, erwiderte ich, verlangsamte meine Schritte aber nicht. »Bitte entschuldigen Sie mich, aber ich habe es schrecklich eilig.«
    Brodsky hielt neben mir Schritt, und eine Zeitlang gingen wir nebeneinanderher, ohne ein Wort zu sagen. Wenn es mir auch durch den Kopf ging, daß daran wohl etwas Merkwürdiges sein mochte, war ich doch zu sehr in Gedanken, um eine Unterhaltung in Gang bringen zu wollen.
    Gemeinsam bogen wir um die Ecke und gelangten auf die Hauptstraße. Hier drängten sich auf dem Bürgersteig noch mehr Menschen als zuvor – die Büroangestellten waren zur Mittagspause herausgekommen -, und wir mußten langsamer gehen. Da sagte dann Brodsky neben mir:
    »All das Gerede gestern abend. Eine große Feier. Eine Statue. Nein, nein, so etwas wollen wir nicht. Bruno konnte diese Leute nicht ausstehen. Ich werde ihn in aller Stille beerdigen, nur ich allein, das kann doch nichts Schlimmes sein, oder? Heute morgen habe ich einen Platz gefunden, ein kleines Fleckchen, an dem ich ihn begraben kann, nur ich allein, andere Leute würde er gar nicht dabeihaben wollen, er konnte sie nicht ausstehen. Ich wollte Musik für ihn, Mr. Ryder, die beste Musik. Ein ruhiges, kleines Fleckchen, ich habe es heute morgen gefunden, ich weiß, Bruno würde es dort gefallen. Ich werde ein Loch graben. Es ist gar nicht nötig, sehr tief zu graben. Dann werde ich an seinem Grab sitzen, an ihn denken, an all die Dinge, die wir zusammen getan haben, werde Lebewohl sagen, mehr nicht. Ich wollte Musik, während ich an ihn denke, die beste Musik. Würden Sie das für mich tun, Mr. Ryder? Für mich und für Bruno? Einen Gefallen, Mr. Ryder. Ich bitte Sie darum.«
    »Also, Mr. Brodsky«, sagte ich und ging schnell weiter, »ich weiß nicht, was genau Sie da von mir wollen. Aber ich muß Ihnen sagen, daß ich wirklich nicht in der Lage bin, weitere Anforderungen an meine Zeit zu berücksichtigen.«
    »Mr. Ryder...«
    »Wirklich, Mr. Brodsky, das mit Ihrem Hund tut mir sehr leid. Aber Tatsache ist, daß ich mich zu vieler Wünsche habe annehmen müssen, und die Folge davon ist, daß ich jetzt kaum Zeit genug habe, mich um die wichtigsten Dinge zu kümmern, deretwegen ich hergekommen bin...« Plötzlich spürte ich, wie mich ein Gefühl der Ungeduld durchzuckte, und ich blieb unvermittelt stehen. »Also, ehrlich gesagt, Mr. Brodsky«, sagte ich und schrie fast dabei, »ich muß Sie und alle anderen dringend ersuchen, mich nicht um weitere Gefallen zu bitten. Die Zeit ist gekommen, damit aufzuhören! Es muß endlich aufhören!«
    Einen Moment lang schaute mich Brodsky leicht verwirrt an. Dann blickte er niedergeschlagen weg. Sofort bereute ich meinen Ausbruch und sah auch ein, wie unvernünftig es gewesen war, Brodsky für die zahlreichen Ablenkungen verantwortlich zu machen, mit denen ich seit meiner Ankunft in dieser Stadt konfrontiert worden war. Ich seufzte und sagte etwas sanfter:
    »Schauen Sie, lassen Sie mich einen Vorschlag machen. Im Moment bin ich auf dem Weg zurück ins Hotel, um zu üben. Ich brauche mindestens zwei Stunden, in denen ich völlig ungestört bin. Aber danach könnte ich, je nachdem, wie alles gelaufen ist, durchaus in der Lage sein, diese Angelegenheit Ihren Hund betreffend weiter mit Ihnen zu erörtern. Ich muß Sie darauf

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