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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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du noch? Selbst kurz nach der Aufführung von Lafcadio . Kellner und Taxifahrer, alle wollten sie mir die Hand schütteln, aber wenn wir in die Galerie gegangen sind – nichts. Er hat uns mit völlig versteinertem Gesicht angesehen, genau wie sonst auch. Dann schließlich, als die Dinge schon ziemlich schlecht standen, sind wir einmal hineingegangen, es hatte geregnet an dem Tag, und er hat uns angeschrien. Wir würden seinen Fußboden naß machen, hat er gesagt. Und das hätten wir immer schon getan, immer wenn es geregnet hätte, seit Jahren hätten wir das schon getan, hätten seinen Fußboden naß gemacht, all diese Jahre, und jetzt wäre er es leid. Er hat uns damals so angeschrien, und das mit dir und England gesagt, er ist das gewesen, nicht die Kaulquappe. Die Kaulquappe ist immer höflich gewesen, bis ganz zum Schluß. Die Kaulquappe hat mir die Hand geschüttelt, das weiß ich noch, bevor wir damals weggegangen sind. Weißt du nicht mehr? Wir sind in die Buchhandlung gegangen, und er wußte, es ist das letzte Mal, er ist von seinem Tisch aufgestanden und hat mir die Hand geschüttelt. Die Kaulquappe ist immer höflich gewesen, wirklich.«
    Miss Collins, eine Hand als Sonnenschutz gegen die Stirn gelegt, schaute zum anderen Ende des Parks. Dann fing sie wieder an, gemächlich umherzuschlendern, und sagte: »Es ist schön, sich daran zu erinnern. Aber wir können nicht in der Vergangenheit leben.«
    »Aber du erinnerst dich«, sagte Brodsky. »Du erinnerst dich an die Kaulquappe, an die Buchhandlung. Erinnerst du dich auch an den Schrank, an die Tür, die herausgefallen ist? Du erinnerst dich an alles, genau wie ich.«
    »An manches erinnere ich mich. Anderes habe ich zwangsläufig vergessen.« Ihre Stimme klang jetzt vorsichtig. »Manches, auch manches von damals, sollte man auch besser vergessen.«
    Brodsky schien darüber nachzudenken. Schließlich sagte er: »Vielleicht hast du recht. Da sind zu viele Dinge in der Vergangenheit. Ich schäme mich, weißt du, ich schäme mich, also laß uns Schluß machen. Laß uns Schluß machen mit der Vergangenheit. Laß uns ein Haustier anschaffen.«
    Miss Collins ging weiter, jetzt mehrere Schritte vor Brodsky. Dann blieb sie wieder stehen und drehte sich zu ihm um. »Ich werde mich heute nachmittag mit dir auf dem Friedhof treffen, wenn du willst. Aber du darfst nicht glauben, daß das irgendeine Bedeutung hat. Es bedeutet nicht, daß ich mit deinem Haustier oder mit sonst etwas einverstanden bin. Aber ich verstehe natürlich, daß du dir wegen heute abend Sorgen machst, daß du mit jemandem über deine Ängste sprechen willst.«
    »Die letzten Monate. Ich habe die Raupen gesehen, aber ich habe weitergemacht, ich habe weitergemacht, ich habe mich vorbereitet. Das wird alles umsonst gewesen sein, wenn du nicht zurückkommst.«
    »Ich werde dich nur heute nachmittag treffen, und das auch nur kurz. Eine halbe Stunde vielleicht.«
    »Aber du denkst darüber nach. Du denkst darüber nach, bevor wir uns treffen. Du denkst darüber nach. Über das Haustier, über alles.«
    Miss Collins drehte sich um, stand eine ganze Weile da und begutachtete einen weiteren Strauch. Schließlich sagte sie: »Na schön, ich denke darüber nach.«
    »Du weißt doch, wie es für mich gewesen ist. Wie schwer. Manchmal war es so schrecklich, daß ich am liebsten gestorben wäre, nur damit es aufhört, aber ich habe weitergemacht, weil ich diesmal eine Möglichkeit gesehen habe. Wieder Dirigent sein. Du würdest zurückkommen. Es wird so wie früher werden, vielleicht sogar besser. Manchmal war es so schrecklich mit den Raupen, es gibt sonst nichts mehr, wie ich es beweisen könnte. Wir haben nie Kinder gehabt. Also laß uns doch ein Haustier anschaffen.«
    Miss Collins verfiel wieder ins Schlendern, und diesmal hielt Brodsky neben ihr Schritt und sah ihr mit ernstem Blick ins Gesicht. Miss Collins schien wieder etwas sagen zu wollen, aber genau in dem Moment sagte Parkhurst hinter mir plötzlich:
    »Ich halte mich immer raus, weißt du. Ich meine, wenn sie anfangen, über dich zu reden, wie sie das immer tun. Ich lache auch nicht, lächle nicht einmal, ich halte mich ganz raus. Du denkst wahrscheinlich, ich sage das jetzt einfach nur so, aber es ist wahr. Sie widern mich an mit ihrem Benehmen. Und dieses Eselsgeschrei! Sobald ich durch die Tür gekommen bin, wieder dieses Eselsgeschrei! Nicht einmal eine Minute, nicht einmal das geben sie mir, sie geben mir nicht einmal sechzig Sekunden, damit

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