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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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auch keine große Hilfe gewesen, ich weiß. Aber Tatsache ist nun mal, daß ihn das alles sehr durcheinandergebracht und verwirrt hat. Wie lange soll das denn noch so weitergehen?«
    »Ich glaube, ich weiß gar nicht, wovon du redest.«
    »Sieh mal, ich habe doch gesagt, ich sehe ein, daß es auch meine Schuld ist. Wozu soll es denn gut sein, wenn wir so tun, als würde es nicht passieren?«
    »Passieren? Was meinst du damit? Ich nehme an, diese Kim hat das vorgeschlagen, oder? Daß du mit all diesen Anschuldigungen zu mir kommst?«
    »Also tatsächlich sagt Kim immer wieder, es wäre besser, ich würde offener mit dir reden. Aber diesmal hat es nichts mit ihr zu tun. Ich habe davon angefangen, weil... weil ich es nicht länger ertragen kann, Boris so besorgt zu sehen.«
    Ein wenig verwirrt wollte ich mich wieder zu dem Mann am Empfang umdrehen, aber bevor ich seine Aufmerksamkeit auf mich lenken konnte, sagte Sophie:
    »Sieh mal, ich will dich doch nicht beschuldigen. Du bist in jeder Hinsicht äußerst verständnisvoll gewesen. Vernünftiger hättest du gar nicht reagieren können, auch wenn ich dich darum gebeten hätte. Du hast mich nicht einmal angeschrien. Aber ich habe immer gewußt, da muß es irgendeine Wut in dir geben, und die kommt nun so heraus.«
    Ich lachte auf. »Ich nehme an, das ist die Art Populärpsychologie, die du mit Kim betreibst, was?«
    »Ich habe es immer gewußt«, fuhr Sophie fort und ignorierte meine Bemerkung. »Du bist sehr verständnisvoll gewesen, verständnisvoller, als man je hätte erwarten können, selbst Kim gibt das zu. Aber das ist der Realität nicht so ganz gerecht geworden. Wir haben einfach nicht so weitermachen können, als wäre nichts geschehen. Du bist wütend. Und wer wollte dir das zum Vorwurf machen? Ich habe immer gewußt, es würde irgendwie herauskommen. Ich habe nur nicht gedacht, daß es so laufen würde. Armer Boris. Er hat keine Ahnung, was er angestellt hat.«
    Wieder schaute ich zu Boris hinüber. Er schien immer noch völlig vertieft in sein Handbuch zu sein.
    »Sieh mal«, sagte ich, »ich weiß immer noch nicht genau, worauf du eigentlich hinaus willst. Vielleicht meinst du einfach nur die Tatsache, daß Boris und ich unsere Beziehung zueinander ein wenig in eine andere Richtung bringen. Aber das ist ja wohl nur angemessen in Anbetracht der Umstände. Wenn ich mich in letzter Zeit ein bißchen von ihm distanziert habe, dann nur, weil ich ihn nicht im unklaren lassen will, was die wahre Natur unseres Zusammenlebens jetzt betrifft. Wir müssen alle etwas behutsamer sein. Nach dem, was geschehen ist, wer weiß da schon, was die Zukunft da für uns drei bringen wird? Boris muß lernen, härter im Nehmen und unabhängiger zu sein. Ich bin sicher, auf seine Art versteht er das genauso wie ich.«
    Sophie schaute weg und schien einen Moment lang über etwas nachzudenken. Ich wollte gerade wieder versuchen, die Aufmerksamkeit des Mannes am Empfang auf mich zu lenken, als sie plötzlich sagte:
    »Bitte. Komm jetzt mit hinüber. Sag etwas zu ihm.«
    »Hinüberkommen? Tja, das Problem ist, ich habe mich da um eine außerordentlich dringende Angelegenheit zu kümmern, und sobald Hoffman auftaucht...«
    »Bitte, nur ein paar Worte. Es würde ihm so viel bedeuten. Bitte.«
    Eindringlich schaute sie mich an. Als ich mit den Schultern zuckte, drehte sie sich um und ging mir voraus durch die Hotelhalle.
    Boris schaute kurz hoch, als wir näher kamen, vertiefte sich dann aber wieder mit ernsthaftem Gesichtsausdruck in sein Buch. Ich hatte angenommen, Sophie würde etwas sagen, aber zu meiner Verärgerung warf sie mir einfach nur einen bedeutungsschweren Blick zu und ging dann an dem Sofa, auf dem Boris saß, vorbei zu einem Zeitschriftenständer bei den Fenstern. So stand ich also allein bei Boris, während der Junge weiter in seinem Buch las. Schließlich zog ich einen Sessel heran und setzte mich ihm gegenüber.
    Boris las weiter und gab durch nichts zu erkennen, daß er meine Anwesenheit bemerkt hatte. Dann brummelte er, ohne aufzuschauen, vor sich hin:
    »Das Buch ist wirklich toll. Man kriegt alles gezeigt.«
    Ich wußte nicht recht, was ich darauf antworten sollte, sah dann aber Sophie, die mit dem Rücken zu uns dastand und so tat, als studiere sie eine Zeitschrift, die sie gerade aus dem Ständer genommen hatte. Plötzlich verspürte ich eine Woge von Wut und bereute bitterlich, daß ich ihr durch die Hotelhalle gefolgt war. Es war ihr gelungen, so fiel mir auf,

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