Die Ungetroesteten
die Dinge so geschickt zu lenken, daß sie, was auch immer ich jetzt zu Boris sagte, als Triumph und Ehrenrettung werten konnte. Ich warf noch einen weiteren Blick auf ihren Rücken, auf ihre Schultern, die sie leicht nach vorn gezogen hatte, um ihr großes Interesse an der Zeitschrift vorzutäuschen, und spürte, daß ich immer wütender wurde.
Boris blätterte eine Seite um und las dann weiter. Nach einer Weile murmelte er noch einmal, ohne aufzuschauen: »Fliesenlegen im Badezimmer. Das werde ich jetzt ganz problemlos machen können.«
Auf einem Couchtisch in der Nähe lag eine Auswahl an Zeitungen, und ich sah keinen Grund, weshalb nicht auch ich lesen sollte. Ich nahm eine Zeitung und hielt sie aufgeschlagen vor mich hin. Eine Weile verging, ohne daß einer von uns etwas sagte. Dann, als ich gerade einen Artikel über die deutsche Automobilindustrie überflog, hörte ich Boris plötzlich sagen:
»Tut mir leid.«
Das hatte er irgendwie aggressiv hervorgestoßen, und zuerst überlegte ich, ob es Sophie nicht vielleicht gelungen war, ihn anzustacheln oder ihm ein Zeichen zu geben, während ich gelesen hatte. Aber als ich Sophie einen verstohlenen Blick zuwarf, stand sie immer noch mit dem Rücken zu uns da und schien sich überhaupt nicht bewegt zu haben. Dann sagte Boris:
»Tut mir leid, daß ich so egoistisch gewesen bin. Das wird jetzt nicht mehr vorkommen. Ich werde nie wieder von der Nummer Neun anfangen. Für so etwas bin ich jetzt viel zu alt. Mit diesem Buch wird es ganz einfach sein. Bald werde ich das alles machen können. Dann werde ich das Badezimmer noch einmal neu machen. Ich habe das vorher nicht gewußt. Aber hier kriegt man das gezeigt, hier kriegt man alles gezeigt. Ich werde nie wieder von der Nummer Neun anfangen.«
Es war, als habe er Verse aufgesagt, die er auswendig gelernt und eingeübt hatte. Und dennoch war da etwas sehr Gefühlsbewegtes in seiner Stimme, und ich verspürte das dringende Bedürfnis, zu ihm zu gehen und ihn in die Arme zu nehmen. Aber dann sah ich, wie sich Sophies Schultern hoben und senkten, und mir fiel wieder ein, wie wütend ich auf sie war. Außerdem begriff ich, daß es langfristig gesehen keinem von uns nützen würde, wenn ich Sophie gestattete, alles nach ihren Vorstellungen zu lenken.
Ich faltete die Zeitung zusammen, stand auf und schaute mich um, weil ich sehen wollte, ob Hoffman schon aufgetaucht war. Boris ergriff wieder das Wort, und jetzt schwang deutlich spürbar Panik in seiner Stimme:
»Ich verspreche es. Ich verspreche, ich werde lernen, wie man das alles macht. Das wird jetzt ganz problemlos gehen.«
Seine Stimme zitterte ein wenig, aber als ich wieder zu ihm hinschaute, hatte er die Augen immer noch fest auf das Buch gerichtet. Sein Gesicht, so fiel mir auf, war merkwürdig gerötet. Dann nahm ich am anderen Ende der Hotelhalle eine Bewegung wahr und sah, daß Hoffman bei der Rezeption stand und mir zuwinkte.
»Ich muß jetzt gehen!« rief ich Sophie zu. »Ich muß etwas sehr Wichtiges erledigen. Ich sehe euch beide dann später irgendwann.«
Boris blätterte eine Seite um, schaute aber nicht hoch.
»Bald schon«, sagte ich zu Sophie, die sich inzwischen umgedreht hatte. »Bald schon sprechen wir über alles. Aber jetzt muß ich gehen.«
Hoffman kam bis zur Mitte der Halle, wo er eifrig gespannt auf mich wartete.
»Tut mir leid, daß ich Sie habe warten lassen, Mr. Ryder«, sagte er. »Ich hätte wissen müssen, daß Sie vor einer so wichtigen Begegnung sehr zeitig eintreffen. Ich komme gerade aus dem Sitzungssaal, und glauben Sie mir, diese Leute, diese einfachen Damen und Herren sind so unendlich dankbar, so dankbar, daß Sie sich bereit erklärt haben, persönlich mit ihnen zu sprechen. Daß Sie, Mr. Ryder, erkannt haben, wie wichtig es ist, aus ihrem eigenen Mund zu hören, was sie alles durchgemacht haben.«
Ich schaute ihn streng an. »Da scheint ein Mißverständnis vorzuliegen, Mr. Hoffman. Jetzt möchte ich wirklich nichts anderes als zwei Stunden Zeit zum Üben. Zwei Stunden in völliger Abgeschiedenheit. Ich muß Sie bitten, den Salon so schnell wie möglich räumen zu lassen.«
»Ach ja, der Salon.« Dann lachte er auf. »Tut mir leid, Mr. Ryder, ich verstehe nicht ganz. Wie Sie wissen, warten genau in diesem Augenblick die Mitglieder des Komitees der Bürger-Selbsthilfe im Sitzungssaal...«
»Mr. Hoffman, Sie scheinen die Dringlichkeit der Situation nicht zu begreifen. Aufgrund einer ganzen Reihe unvorhergesehener
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