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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Möglichkeit, vor der ganzen Stadt zu spielen, vor all deinen Freunden und Kollegen. Ja, ja, ich hatte es dir versprochen. Vielleicht hast du mich ja auch selbst darum gebeten, vielleicht hast du mich in einem Augenblick erwischt, in dem ich abgelenkt war, wer weiß schon, wie das passiert ist? Es spielt auch keine Rolle. Worauf ich hinaus will, ist, ich habe zugestimmt, ich habe es versprochen, und ich wollte mein Wort nicht brechen, siehst du, es ist meine Schuld. Aber du mußt versuchen zu verstehen, Stephan, wie es für uns, für deine Eltern, ist. Wie schwierig es ist, mit ansehen zu müssen...«
    »Ich werde mit Mutter reden«, sagte Stephan und drehte sich eilig um. Einen kurzen Moment lang wirkte Hoffman ganz entgeistert, und dann packte er seinen Sohn ziemlich grob am Arm, wobei er unsicher lachte.
    »Das kannst du nicht machen, Stephan. Ich meine, siehst du, deine Mutter ist auf die Damentoilette gegangen. Haha. Na, jedenfalls finde ich, es ist am besten, du läßt sie das Ganze aussitzen, sozusagen. Aber Stephan, was machst du eigentlich? Du solltest doch jetzt spielen. Ach, wer weiß, vielleicht ist es ganz gut so. Ein paar unbequeme Fragen, aber mehr nicht.«
    »Vater, ich gehe wieder hinein und spiele. Bitte, geh wieder auf deinen Platz. Und bitte überrede auch Mutter, wieder zurückzukommen.«
    »Stephan, Stephan.« Hoffman schüttelte den Kopf und legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. »Du sollst wissen, daß wir beide nur das Beste von dir denken. Wir sind beide unendlich stolz auf dich. Aber diese fixe Idee, diese fixe Idee, an der du dein ganzes Leben lang festgehalten hast. Ich meine das mit... das mit deiner Musik. Deine Mutter und ich, wir konnten uns nie ein Herz fassen, es dir zu sagen. Natürlich haben wir dir deine Träume gegönnt. Aber das hier. All das hier« – er machte eine Geste in Richtung Zuschauerraum -, »das hier ist alles ein schrecklicher Fehler gewesen. Wir hätten nie zulassen sollen, daß das Ganze solche Formen annimmt. Siehst du, Stephan, Tatsache ist doch dies. Dein Spiel hat sehr viel Charme, es ist auf eine Weise eine ungeheure Leistung. Wir haben dir immer gern zugehört, wenn du zu Hause gespielt hast. Aber Musik, ernsthafte Musik, Musik auf dem Niveau, wie es heute abend verlangt wird... das, verstehst du, ist etwas völlig anderes. Nein, nein, unterbrich mich nicht, ich versuche, dir etwas zu sagen, etwas, das ich dir schon vor langer Zeit hätte sagen sollen. Siehst du, das hier ist der Städtische Konzertsaal. Das Publikum, das Konzertpublikum, das sind nicht Freunde und Verwandte, die im Wohnzimmer sitzen und wohlwollend zuhören. Das richtige Konzertpublikum ist an Niveau gewöhnt, an professionelles Niveau. Wie soll ich dir das nur erklären, Stephan?«
    »Vater«, unterbrach Stephan, »du begreifst einfach nicht. Ich habe sehr intensiv geübt. Und wenn ich mich für das Stück, das ich spielen will, auch erst vor kurzem entschieden habe, so habe ich dennoch sehr intensiv geübt, und wenn du jetzt nur kommen würdest, dann könntest du hören...«
    »Stephan, Stephan...« Hoffman schüttelte wieder den Kopf. »Wenn es nur eine Frage harter Arbeit wäre. Wenn es nur das wäre. Aber ein paar von uns sind einfach nicht mit dem Talent geboren. Wir haben es einfach nicht in uns, und damit müssen wir uns abfinden. Es ist schrecklich, daß ich dir so etwas in diesem Augenblick sagen muß, und das, nachdem wir dich so lange in diesem Irrglauben gehalten haben. Ich hoffe, du kannst uns verzeihen, deiner Mutter und mir, wir sind so lange schwach gewesen. Aber wir haben ja gesehen, wieviel Spaß es dir gemacht hat, und haben es einfach nicht übers Herz gebracht. Aber das ist keine Entschuldigung, ich weiß. Es ist entsetzlich, mein Herz blutet deinetwegen, das kannst du mir glauben. Ich hoffe, du wirst uns verzeihen können. Es war ein schrecklicher Fehler, das Ganze solche Formen annehmen zu lassen. Zuzulassen, daß du die Bühne betrittst, und das vor der ganzen Stadt. Deine Mutter und ich, wir lieben dich beide viel zu sehr, um das mit ansehen zu können. Es ist einfach zuviel verlangt, mit ansehen zu sollen, wie... wie der eigene geliebte Sohn sich lächerlich macht. So, jetzt ist es heraus, ich habe die Karten auf den Tisch gelegt. Es ist grausam, aber wenigstens habe ich es dir endlich gesagt. Ich habe gedacht, ich könnte es vielleicht. Ich könnte dort sitzen inmitten des Gelächters und Gekichers. Aber als es dann soweit war, hat deine Mutter gemerkt,

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