Die Ungetroesteten
heute abend mit eigenen Augen sehen konnten, sind die alten, fest verwurzelten Vorstellungen nur schwer auszumerzen. Und gerade deshalb kann Ihre Hilfe, Mr. Ryder, Ihre Zustimmung, in unsere bescheidene Stadt zu kommen, so ungeheuer wichtig für uns sein. Die Leute werden auf Sie hören, wie sie niemals auf einen von uns hören würden. Ja, Sie dürfen mir glauben, die Stimmung in dieser Stadt hat sich allein schon aufgrund der Nachricht von Ihrer Ankunft geändert. Die größten Erwartungen ranken sich schon um das, was Sie uns am Donnerstag abend erzählen werden. In den Straßenbahnen, in den Cafés reden die Leute kaum noch von etwas anderem. Natürlich weiß ich nicht genau, was Sie für uns vorbereitet haben. Vielleicht halten Sie es für angemessen, kein allzu rosiges Bild zu zeichnen. Vielleicht wollen Sie uns warnend auf die harte Arbeit aufmerksam machen, die vor einem jeden von uns liegt, wenn wir das Glück, das wir einst kannten, je wiedererlangen wollen. Sie täten ganz recht daran, uns solch warnende Hinweise zu geben. Doch ich weiß auch, wie geschickt Sie an die positive, gemeinsinnige Seite in den Zuhörern appellieren werden. Aber eines ist sicher. Sobald Sie mit Ihrer Rede am Ende sind, wird niemand in dieser Stadt Mr. Brodsky anschauen und in ihm immer noch den schäbigen alten Trunkenbold sehen. Oh, ich merke, Sie sehen etwas beunruhigt aus, Mr. Ryder. Bitte machen Sie sich keine Sorgen. Wir mögen wie ein Provinznest wirken, aber es gibt gewisse Gelegenheiten, bei denen wir nicht zu übertreffen sind. Vor allem Herr Hoffman hat hart gearbeitet, um einen wirklich prachtvollen Abend zu gestalten. Seien Sie versichert, sämtliche Bürger von Rang werden zugegen sein. Und was nun Mr. Brodsky betrifft – wie ich schon sagte, ich bin sicher, er wird uns nicht enttäuschen. Er wird jedermanns Erwartungen übertreffen, dessen bin ich gewiß.«
Tatsächlich hatte mein Gesichtsausdruck, den Pedersen bemerkt hatte, weniger damit zu tun, daß ich beunruhigt war, sondern eher damit, daß ich mich zunehmend über mich selbst ärgerte. Denn die Wahrheit war, daß meine vor der Stadt zu haltende Rede nicht nur noch lange nicht fertig war, es stand mir sogar noch bevor, den gesamten Hintergrund zu recherchieren. Ich konnte nicht begreifen, wie ich es bei all meiner Erfahrung zu solch einer Situation hatte kommen lassen können. Mir fiel ein, daß ich am Nachmittag erst im eleganten Atrium des Hotels gesessen und den starken bitteren Kaffee getrunken und mir dabei ins Gedächtnis gerufen hatte, wie wichtig es sein würde, den Rest des Tages sorgfältig zu planen, um die begrenzte Zeit so gut wie möglich zu nutzen. Während ich da saß und im Spiegel hinter der Bar den Sprühnebel des Brunnens betrachtete, hatte ich mich sogar in einer Situation gesehen, die der, die ich gerade im Kino erlebt hatte, nicht ganz unähnlich war, und hatte mir vorgestellt, kraft meiner spielerischen Beherrschung der gesamten Palette lokaler Themen die Anwesenden beträchtlich zu beeindrucken und wenigstens eine spontane witzige Bemerkung auf Christoffs Kosten zu machen, die denkwürdig genug sein würde, um am nächsten Tag überall in der Stadt wiederholt zu werden. Statt dessen hatte ich es zugelassen, daß ich durch andere Dinge abgelenkt wurde, und als Folge war mir während der ganzen Zeit im Kino kein einziger bemerkenswerter Kommentar eingefallen. Es war sogar denkbar, daß ich den Eindruck hinterlassen hatte, alles andere als weltmännisch zu sein. Plötzlich spürte ich in mir eine heftige Wut auf Sophie, wegen des Chaos, das sie verursacht hatte, und wegen der Art und Weise, in der sie mich genötigt hatte, meine üblichen Ansprüche so tiefgreifend zu kompromittieren.
Wir waren wieder stehengeblieben, und ich sah, daß wir uns direkt vor dem Hotel befanden.
»Also, es war mir eine große Freude«, sagte Pedersen und hielt mir die Hand hin. »Ich freue mich schon darauf, Sie während der nächsten Tage öfter zu sehen. Aber jetzt müssen Sie sich etwas ausruhen.«
Ich dankte ihm, wünschte ihm eine gute Nacht und betrat die Hotelhalle, während seine Schritte in der Dunkelheit verhallten.
Der junge Angestellte an der Rezeption war immer noch im Dienst. »Der Film hat Ihnen hoffentlich gefallen«, sagte er, während er mir meinen Schlüssel reichte.
»O ja, sehr sogar. Danke für den Vorschlag. Es war sehr entspannend.«
»Ja, viele unserer Gäste halten es für eine gute Möglichkeit, den Tag abzurunden. Ach
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