Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
Vom Netzwerk:
beginnen.
    »Herunterfallende Vorhangschienen! Vergiftete Nagetiere! Partituren voller Druckfehler!«
    Da nahm ich eine einzelne Gestalt wahr, die durch die in Gruppen zusammenstehenden Menschen auf mich zukam. Als sie angekommen war, zog Miss Collins vom Nachbartisch einen Stuhl zu sich heran, setzte sich und schaute unverwandt zu mir hinauf. Etwas an der Art, wie sie das tat, lenkte mich so sehr ab, daß ich mich für den Augenblick nicht mehr an meinen nächsten Satz erinnern konnte. Als sie mich zögern sah, schlug sie die Beine übereinander und sagte besorgt:
    »Fühlen Sie sich nicht wohl, Mr. Ryder?«
    »Mir geht es ausgezeichnet, danke, Miss Collins.«
    »Ich hoffe sehr«, fuhr sie fort, »daß Sie sich das, was ich vorhin gesagt habe, nicht allzusehr zu Herzen genommen haben. Ich wollte schon zu Ihnen kommen und mich entschuldigen, aber ich konnte Sie nirgendwo finden. Ich habe mich womöglich schärfer ausgedrückt als unbedingt nötig. Ich hoffe sehr, daß Sie mir verzeihen. Es ist nur so: Selbst heute noch kommen mir, wenn ich jemandem aus Ihrem Berufsstand begegne, ganz plötzlich die Dinge wieder ins Gedächtnis, und auf einmal habe ich diese Art Tonfall angenommen.«
    »Das ist schon in Ordnung, Miss Collins«, sagte ich leise und lächelte zu ihr hinunter. »Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Ich war wirklich nicht verärgert. Wenn ich etwas abrupt weggegangen bin, dann nur, weil ich dachte, Sie wollten die Gelegenheit nutzen, um sich ungehindert mit Stephan zu unterhalten.«
    »Wie schön, daß Sie so viel Verständnis haben«, erwiderte Miss Collins. »Es tut mir wirklich leid, daß ich etwas ärgerlich geworden bin. Aber Sie müssen mir glauben, Mr. Ryder, es war nicht einfach nur Ärger. Es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, Ihnen irgendwie behilflich zu sein. Ich wäre sehr betrübt, wenn ich sehen müßte, daß Sie wieder und wieder dieselben Fehler machen. Ich wollte Ihnen sagen, daß Sie, nun, da wir uns kennengelernt haben, herzlich eingeladen sind, einmal nachmittags zum Tee zu mir zu kommen. Ich würde wirklich gerne mit Ihnen über alles reden, was Sie so bedrückt. Bitte glauben Sie mir, ich kann wirklich sehr verständnisvoll sein.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Miss Collins. Und ich weiß, das ist sehr nett gemeint. Aber Ihre Erfahrungen in der Vergangenheit scheinen, wenn ich das so sagen darf, dazu geführt zu haben, daß Sie – wie Sie sich ausdrücken – Leuten meines Berufsstandes gegenüber nicht sehr wohlwollend eingestellt sind. Ich bin ganz und gar nicht sicher, ob Sie mich wirklich gern zu Besuch bei sich hätten.«
    Miss Collins schien darüber nachzudenken. Dann erwiderte sie: »Ich verstehe Ihre Bedenken. Aber ich glaube, es wäre sehr wohl möglich, daß wir beide zivilisiert miteinander umgehen. Wenn Sie möchten, kann es ja auch nur ein kurzer Besuch sein. Und wenn es Ihnen gefallen hat, können Sie jederzeit wiederkommen. Vielleicht könnten wir sogar einen kleinen Spaziergang machen. Der Sternberg-Park ist ganz bei mir in der Nähe. Ich hatte viele Jahre Zeit, über die Vergangenheit nachzudenken, Mr. Ryder, und ich bin wirklich bereit, alles hinter mir zu lassen. Ich würde mich sehr gerne noch einmal jemandem wie Ihnen gegenüber hilfreich zeigen. Natürlich kann ich nicht versprechen, daß ich auf alle Fragen eine Antwort habe. Aber ich werde Ihnen verständnisvoll zuhören. Und Sie dürfen mir glauben, ich werde Sie weder allzu idealisiert noch allzu sentimental sehen, wie ein Mensch mit weniger Erfahrung das vielleicht tun würde.«
    »Ich werde intensiv über Ihre Einladung nachdenken, Miss Collins«, antwortete ich. »Aber ich kann mir nicht helfen, ich glaube, Sie halten mich für jemanden, der ich wirklich nicht bin. Ich sage das, weil die Welt voller Leute ist, die auf die eine oder andere Art behaupten, sie seien Genies, und die in Wirklichkeit nur bemerkenswert sind wegen der gigantischen Unfähigkeit, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Aber aus irgendeinem Grund gibt es da immer eine ganze Reihe von Leuten wie Sie, Miss Collins – sehr wohlmeinende Leute -, die bestrebt sind, diesen Typen zu Hilfe zu eilen. Es mag nach Eigenlob klingen, aber ich darf wohl sagen, daß ich nicht zu diesen Typen gehöre. Tatsächlich darf ich mit Bestimmtheit behaupten, daß ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Hilfe nötig habe.«
    Miss Collins hatte schon eine ganze Weile den Kopf geschüttelt. Jetzt sagte sie: »Ich wäre wirklich sehr betrübt, Mr.

Weitere Kostenlose Bücher