Die ungewisse Reise nach Samarkand: Roman (German Edition)
würde ihm nicht zeigen, wie sehr er
sie verletzt hatte. Natürlich wusste sie, dass das nur ein kleiner, bescheidener
Anfang war. Aber immerhin ein Anfang.
Und sie
hatte Unterstützung gefunden. In Simon, der ihr stets Mut machte. Der ihr immer
gut zuredete, sie immer tröstete. Robert war natürlich stinksauer deshalb. Einerseits
war es ja rührend, dass er nach all den Jahren noch eifersüchtig wurde. Das zeigte
ihr doch, dass er sie noch liebte, oder nicht? Andererseits stritten sie ständig
herum, wegen Kinkerlitzchen. Und wegen dieser blöden Eifersucht. Völlig grundlos.
Seifenblasen
blubberten durch ihren Kopf. Wieder ein Zug. Ein Zug nach irgendwo. Sie wollte mit,
egal, wohin. Nur fort, fort, fort.
Aber wie?
Ihr Handicap schlief neben ihr mit offenem Mund den Schlaf des Gerechten. Konnte
man eigentlich am eigenen Schnarchen ersticken? Vorsichtig drehte sie Robert auf
die Seite. Er maulte im Schlaf. Dann war er wieder abgetaucht. So. Nun lag er gut.
So konnte nichts passieren.
Jetzt war
sie doch zu wach, um noch länger liegen zu bleiben. Schnell schwang sie die Beine
übers Bett. Mit Robert konnte sie sowieso nicht allzu bald rechnen.
Sie würde
gleich los. Sie würde ihm einen Zettel hinlegen. ›Bin in der Uni. Frühstück steht
in der Küche. Melde mich später.‹ Ja, sie würde schauen, ob sie sich mit Simon treffen
könnte. Dann könnten sie über ihre neuen Texte sprechen.
Kapitel 3
Nachdem sie geduscht hatte, zog
sie ihr leichtestes Sommerkleid über und schüttete im Stehen einen Kaffee hinunter.
Dann griff sie zum Telefon.
»Hallo,
Simon, hier Paula. Bin ich zu früh?«
»Du bist
nie zu früh, Paula. Das weißt du doch. Was gibt’s denn?«
Und Paula
sprudelte los. Dass sie ihre neue Geschichte fertig habe. Dass das Thema wirklich
super sei, eine spießige Cocktailparty, die aus dem Ruder lief. Bitterbös. Rabenschwarz.
Nein, es sei gar nicht schwierig gewesen. Nein, nicht direkt aus dem Leben gegriffen.
Aber doch von gewissen Personen, na, du weißt schon, inspiriert.
»Okay, okay,
nichts verraten. Du hast mich neugierig gemacht.« Simon lachte. »Bin ich auch drin,
in deinem intriganten Spielchen?«
»Nein. Was
denkst du denn?« Paula spürte, wie sie rot wurde. Aber das konnte er ja Gott sei
Dank nicht sehen. Sie verabredeten sich für halb zehn im Studierhaus, erste Ebene.
Der Weg
zur Uni war kein Problem, nur sechs Kilometer, reiner Stadtverkehr. Den Bahnübergang
pflegte Paula zu meiden, denn die Züge Richtung Hamburg kamen in so raschem Takt,
dass man ewig warten musste. Also ließ sie den Bahndamm links liegen und fuhr über
den Herzogenkamp. So auch heute. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, dass die Schranken
geschlossen waren, also konnte von links keiner kommen. Sie gab Gas und bog in die
Achterstraße, über das Stoppschild weg. Was sie jedoch nicht sah, war der Streifenwagen
hinter ihr. Es dauerte nicht lange, und der Wagen hatte sie überholt und sich direkt
vor sie gesetzt. Er verlangsamte das Tempo, und ein grünbetuchter, Kelle schwenkender
Arm wurde sichtbar. Paula hielt an und ließ das Fenster herunter. Ein beleibter
Polizist fortgeschrittenen Alters ruderte auf sie zu und rückte gewichtig seine
Mütze zurecht.
»Haben Sie
denn das Stoppschild nicht gesehen?« Ein großes Gesicht mit ausuferndem Doppelkinn
schob sich in die Fensteröffnung. Zusammengekniffene Augen musterten sie.
»Klar hab
ich’s gesehen. Ich bin ja nicht blind.«
»Was? Und
da haben Sie nicht angehalten?«
»Warum denn?
Die Schranke ist doch zu.«
»Gute Frau,
was denken Sie sich eigentlich? Denken Sie, dass die Straßenschilder für Sie nicht
gelten? Wenn das jeder so machen würde, wo kämen wir denn da hin?«
»Ich bin
nicht Ihre gute Frau.« Paula drehte jetzt auf. »Bei geschlossener Schranke am Stoppschild
halten, das ist doch idiotisch. Anhalten, wenn keiner kommen kann.«
»Die Verkehrsregeln
gelten auch für Sie. Und zwar immer, nicht nach Lust und Laune.«
»Darf ich
nicht selbst denken? Sind wir denn noch bei Hitlers?«
»Das ist
ja unerhört!« Der Grünrock wurde nun so laut, dass seine junge Kollegin, die bisher
sichtlich gelangweilt am Streifenwagen gelehnt hatte, näher kam. »Soll das etwa
heißen, dass ich ein Nazi bin? Das ist Beamtenbeleidigung!« Puterrote Wangen wabbelten
erregt hin und her. »Ich möchte sofort Ihre Papiere sehen.«
Paula griff
über die Schulter nach ihrer Handtasche, doch sie griff ins Leere. Oh je. Jetzt
fiel es ihr wieder ein. Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher