Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition)
mit dem Aufzug nach oben, dann treten sie hinaus auf eine Glasfläche und schauen hinunter auf die Stadt. Noch ein Bonbon, glaube ich«, sagte er. Er griff in die Tüte mit Süßigkeiten, die auf Barnabys Schoß stand, und nahm sich ein winziges, extrem lecker aussehendes Bonbon. Es wog garantiert nicht mehr als ein Gramm, aber offensichtlich war das genau der entscheidende Gewichtsunterschied, durch den Barnaby ausbalanciert wurde – beziehungsweise die Balance verlor, denn kaum hatte Wilson das Bonbon herausgenommen, da spürte Barnaby, wie ihn das vertraute Schwebegefühl überkam, und seine Füße hoben sich vom Boden.
»Oh-oh«, sagte er und griff nach seinem Rucksack, aber entweder hatte er ihn zu weit unter seinen Sitz geschoben, oder er schwebte schon zu weit oben – jedenfalls bekam er ihn nicht mehr zu fassen, und schon flog er davon.
»Phantastisch!«, rief Wilson begeistert, und alle Anwesenden, sogar die Spieler auf dem Feld, schauten zu Barnaby hinauf. Nur Cody Harper ignorierte die ganze Aufregung und schoss blitzschnell ein Tor – das erste seit einer halben Ewigkeit –, aber weil keiner es mitkriegte, zählte es nicht. Und Barnabys halbfertige Postkarte rutschte aus seiner hinteren Hosentasche und landete auf Wilsons Schoß.
Barnaby hörte die Menschenmenge jubeln und winkte hinunter, aber der Beifall verwandelte sich bald in ein erschrockenes Stöhnen, denn während er immer höher stieg, strebten die beiden Seiten des Dachs immer näher aufeinander zu.
Jetzt gab es nur noch drei Alternativen:
Die erste war, dass sich das Dach schloss, bevor er oben ankam.
Die zweite war, dass sich die beiden Teile erst trafen, nachdem Barnaby schon zwischen ihnen hindurch geschwebt war.
Die dritte – und die schlimmste – war, dass sie genau in dem Moment aufeinander stießen, wenn er sich auf der entsprechenden Höhe befand, und Barnaby in zwei Stücke zerschnitten.
Und zu Barnabys großem Pech passierte genau das.
Keine Angst – stimmt nicht.
Denn exakt in dem Augenblick, als die beiden Dachseiten kurz davor waren, das Stadion zu verschließen, schlüpfte Barnaby durch die schmale Lücke, die noch blieb – eine Öffnung, die gerade groß genug war für einen achtjährigen Jungen –, und schon konnte er von oben auf die Glaskuppel hinunterblicken, und während er immer höher flog, wurde das weiße Dach immer kleiner.
»Hilfe!«, schrie er und fuchtelte mit den Armen, um die Touristen auf dem Turm auf sich aufmerksam zu machen. Die winkten alle zurück, als wäre sein Flug nur Teil des großen Unterhaltungsprogramms, das der Bürgermeister von Toronto für sie arrangiert hatte.
Eine kleine Aussichtsplattform ganz oben wurde sichtbar, und Barnaby sah, wie eine schwarz gekleidete Gestalt im Inneren des Turms die Treppe hinaufraste und oben die Tür aufriss – es war ein Mann, und dieser Mann hielt etwas in der Hand, das aussah wie eine Angel. Die Angel warf er in die Luft. Sie flatterte im Wind, und Barnaby sah, dass es gar keine Angel war, sondern eine Peitsche.
»Halt dich daran fest!«, rief der Mann. Barnaby ruderte mit aller Kraft nach rechts und streckte die Arme nach der Peitsche aus. Er erwischte sie mit den Fingerspitzen und klammerte sich daran fest, während der Mann ihn über das Geländer zerrte und sich dann sofort auf ihn warf, damit er nicht wieder davonfliegen konnte.
Mit der PEITSCHE gerettet
»Vielen Dank«, sagte Barnaby und blickte erleichtert hoch.
»Gern geschehen«, sagte der Mann und musterte den Jungen, als wollte er ihn mit einem Haps verschlingen. »Ich habe dir das Leben gerettet, junger Mann. Das heißt, dein Leben gehört jetzt mir.«
Barnaby schaute ihn verdutzt an.
»Das war ein Witz.« Der Mann grinste ziemlich fies, und sein Tonfall klang für Barnaby, als hätte er es überhaupt nicht lustig gemeint. Nach einer Weile erhob sich der Mann, zog Barnaby hoch, und sie gingen ins Innere. Barnaby fühlte sich gar nicht wohl, denn der Mann hatte ihn untergehakt und drückte ihn so fest an sich, dass er sich nicht losmachen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte.
»Das muss ja ein traumatisches Erlebnis für dich gewesen sein«, sagte der Mann kopfschüttelnd. »Komm, wir holen dir einen Schluck Wasser.«
»Danke, mir geht es gut«, erwiderte Barnaby. Er dachte an all die Flugzeuge, die sich in Toronto darauf vorbereiteten, zur südlichen Hemisphäre zu fliegen. »Ich muss jetzt wirklich los.«
»Unsinn«, sagte der Mann. »Wo willst du denn hin?«
»Nach
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