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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ein dunkles, knöchellanges Kleid, mit einem kleinen Kragen, der die zarte Blässe des Gesichts noch betonte. Sie war sehr viel jünger als Lund, das wussten alle, dreißig, so meinten einige, und Lund selbst war vor drei Jahren fünfzig geworden. Dennoch wirkte sie älter, als sie war, wenn es denn stimmte, ja, fast gleichaltrig mit ihrem Mann, der sich seinerseits gut gehalten hatte. Vielleicht lag es an der weißen Haut, die in dem einen Moment glänzen konnte und im nächsten grau wie Asche erschien. Das war also Alma, Doktor Lunds Ehefrau. Wir wurden einander vorgestellt. Ihr Händedruck war fest, energisch, und sie sah mir direkt in die Augen, als suchte sie nach etwas, musterte mich, nicht auf eine unangenehme oder bewertende Art, wie ich es gewohnt war, ganz im Gegenteil. Dennoch verneigte ich mich tief, um dem Blick zu entkommen.
    Wir gingen hinein.
    Die Wohnung war geschmackvoll eingerichtet, nicht ein Möbelstück zu viel, nicht ein Teil zu wenig. Das gefiel mir. Doch durch die offenstehende Tür eines Raums auf der Rückseite konnte ich sehen, dass es dort von Blumen und Pflanzen nur so überquoll. Wir setzten uns ins Wohnzimmer. Es war für drei gedeckt.
    »Möchtest du ein Glas Sherry vor dem Essen?«, fragte Alma.
    »Bernhard möchte Wasser«, antwortete Doktor Lund.
    Alma stutzte.
    »Aber wir haben noch ein wenig in Reserve. Und ewig kann dieses Verbot ja wohl nicht andauern.«
    »Nicht alle haben die gleiche Willensstärke wie du, meine Liebe. Sie fallen den Verführungen zum Opfer.«
    Sie verschwand in der Küche.
    Doktor Lund wartete ein paar Sekunden, dann beugte er sich zu mir und sagte leise:
    »Enttäusche mich nicht.«
    Alma kam mit zwei Gläsern Wasser und einem real stout zurück. Das dunkle, schäumende Glas war für Lund.
    »Willst du heute nicht auch ein Glas Bier, meine Liebe?«, fragte er.
    »Ich leiste Bernhard gern Gesellschaft«, erwiderte sie.
    Dann gingen wir zu Tisch. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was wir aßen. Aber das ist auch nicht wichtig. Es wurde nur wenig gesprochen. Erst nach einer ganzen Weile nahm Doktor Lund sein Glas in die Hand und sprach einen Toast aus.
    »Abusus non tollit usum«, sagte er.
    Alma wurde ungeduldig, fast wütend.
    »Rede so, dass wir dich verstehen.«
    »Bernhard versteht mich. Er ist ein Ass in Latein. Nicht wahr, Bernhard?«
    Ich schaute auf die Tischdecke, räusperte mich und übersetzte:
    »Missbrauch hebt den Gebrauch nicht auf.«
    Alma lachte.
    »Ihr Quatschköpfe«, sagte sie.
    Doktor Lund reichte die Schüssel mit den Kartoffeln weiter. Übrigens waren sie nicht ganz gar. Wenn man sie teilen wollte, blieb das Messer an einem harten Kern stecken, und ich musste kräftig drücken, um durchzukommen. Außerdem hatte ich nicht besonders viel Appetit. Ich hatte fast vergessen, wie es ist, hungrig zu sein.
    Jedenfalls währte die Stille fünf Minuten. Das war lange genug.
    »Herrliches Essen«, sagte ich. »Ganz bestimmt.«
    Alma schaute auf.
    »Aber du isst ja kaum etwas.«
    Ich nahm noch einmal, eine riesige Portion, ein Gebirge türmte sich auf meinem Teller, hollodrio!
    »Vielleicht ist es noch etwas zu früh für dich?«, fuhr sie fort.
    »Nein, ganz und gar nicht.«
    Ich schaufelte in mich hinein. Tränen standen mir in den Augen. Ich lief Gefahr, einen lapsus linguae zu machen. Rede so, dass wir dich verstehen, du Pfiffikus, du Quasselkopp!
    Alma schenkte mehr Wasser in die Gläser ein.
    »Ich esse am liebsten zu dieser Tageszeit, weißt du, damit ich schnell mit den Montagen in Gange komme. Es gibt so viel, was ich machen muss.«
    Und dann versprach ich mich doch und zwar heftig. Es war ein ehrlicher Versprecher, er kam vom Herzen, als ob es dadurch besser gewesen wäre.
    »Und was?«
    »Und was?«
    Und immer noch gab ich mich nicht zufrieden. Das ist wohl das Schlimmste. Wir geben uns nicht zufrieden. Wir glauben, wir würden es wiedergutmachen, aber wir machen Schlimmes nur noch schlimmer. Wo war Doktor Lund? Konnte er mir nicht zu Hilfe kommen und mich vor mir selbst retten? Ich sagte:
    »Ja, ich meine, was ist denn so viel zu machen, dass es nicht warten kann?«
    Alma legte ihr Besteck hin.
    »Der Wintergarten. Die Pflanzen brauchen viel Pflege. Sie wachsen nicht von allein, wie du dir denken kannst. Hast du Lust, ihn dir hinterher anzusehen?«
    Sie hatten keine Kinder. Deshalb diese sorgfältige, fast spartanische Einrichtung. Deshalb diese Stille.
    Ich senkte meinen Blick. Ganz gleich, wie viel ich auch aß, es wurde nicht

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