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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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lief ich das letzte Stück durch den Stenspark, ruderte mit den Armen und war kurz davor, abzuheben. Aber am meisten freute ich mich auf die langen Gespräche mit Direktor Lund, während Alma im Wintergarten beschäftigt war oder etwas in der Küche regelte. Ich durfte ihn über alles befragen. Lund hatte immer die Antwort. Ich konnte ihm meine Gesichtspunkte darlegen, und Lund nahm sie ernst. Am liebsten sprach ich über das Gehirn. Die Extreme beschäftigten mich, denn sie hatten wie so häufig die gleiche Diagnose. So erwähnte ich beispielsweise die Hirnatrophie und die Hirnkongestion. Das Erstere ist zu wenig Blut im Gehirn, das Letztere zu viel. Aber beide Zustände führen zu verminderter Leistungsfähigkeit, Schmerzen, geschwächter Urteilsfähigkeit und im schlimmsten Fall zum Tode. In diesem Zusammenhang war es nur natürlich, auf Gaustad und die Erfahrungen aus den Besuchen dort zu sprechen zu kommen. War es vielleicht ein Mangel oder ein Überfluss an Blut im Gehirn, der die psychischen Leiden verursachte? Lund: Einige sind angeboren, und um diese Patienten muss sich auf die würdigste Weise gekümmert werden, und wenn sie der Gesellschaft von Nutzen sein können, nichts besser als das. Aber die meisten Leiden sind durch die Lebensweise der Eltern entstanden, und diese muss hart und sichtbar bestraft werden, oder die Abweichungen sind von dem Menschen selbst verursacht worden, und dann ist die Therapie einfach. Sie müssen gestählt werden. Vergiss das nicht, Bernhard. Das meiste ist einfach. Lund wies mich auch manches Mal zurecht. Ich hatte Studenten aus dem dritten Abschnitt schluchzend aus seinem Büro kommen sehen. Das genoss ich. Vielleicht war es das, was ich bei diesen Besuchen am allermeisten genoss: zurechtgewiesen zu werden; wenn es etwas gab, was ich brauchte, dann war es das. Ich wollte an dieser Stelle jedoch das Gespräch auf die Behandlung bringen, der wir gemeinsam beigewohnt hatten, nämlich der Stricknadel, oder Eisnadel, wie es sich herausstellte, die hinter dem Ohr eingeführt worden war. War es besser, das Gehirn mit so einem unpräzisen Instrument noch mehr zu zerstören, als zu versuchen, es zu re parieren? Ich dachte an Crushings bahnbrechende Arterienklammer, die es möglich machte, den Schädel zu öffnen, ohne dass der Patient verblutete. Direktor Lund wollte aber lieber hören, ob ich mir inzwischen weitere Gedanken hinsichtlich der Doktorarbeit gemacht hatte. Der Termin näherte sich ja. Ich berichtete von meinen Spekulationen: dass Ozaena verursacht wird von Syphilis, Lepra, Krebs, Tuberkulose und deshalb als ein Symptom angesehen werden muss. Stinknase, Bernhard. Sag Stinknase, dann verstehen die Patienten, was du meinst. Sagst du Ozaena, dann glauben sie, dass sie an etwas Exklusivem leiden und Anspruch auf Mitleid haben. Und er machte mich meiner Sache sicher. Dennoch, es wäre mir nie eingefallen, mit meinen Examina zu prahlen. Aber Lund hatte natürlich die Resultate bereits von der Fakultät erfahren.
    »Gratuliere zum laudabilis«, sagte er.
    Und Alma steckte ihren Kopf zur Tür herein:
    »Laudabilis? Ist das nicht hervorragend?«
    »Nur zweitbestes Ergebnis«, sagte ich.
    Es kam auch vor, äußerst selten, wie ich hinzufügen möchte, dass Direktor Lund nicht daheim war, wenn ich zur festgesetzten Zeit kam. Er musste zu einer Konferenz in irgendeiner Stadt oder einen Vortrag in der medizinischen Gesellschaft halten, er war ein gefragter Mann. Dann hielten wir uns lieber im Wintergarten auf und ließen das Mittagessen ausfallen. Ich nahm Teil an Almas Hibernation. Sie trank ihr kleines Bier, aus dem oft mehrere wurden, und ich bekam mein Wasser. Ich genoss diese Stunden vielleicht noch mehr, wenn auch auf andere Art und Weise, als die Dispute mit dem Direktor. Sie versorgte die Pflanzen und Gewächse, zu denen sie ein persönliches Verhältnis hatte. Der Duft dort drinnen war schwer und kräftig, aber dennoch erhebend. Sie lehrte mich neue Namen. Clematis, Belladonna, Gentiana. Ich steckte den Finger in die Erde und spürte den Unterschied zwischen einer Pflanze und der anderen. Ab und zu half ich ihr, die Blätter zu duschen. Dazu benutzten wir eine besondere Form von Flakon. Es gab viel Gelächter, wenn sie mir direkt ins Gesicht sprühte. Ich nahm den Flakon und gab ihr als Antwort auch eine Dusche. Wir redeten nicht viel. Es waren schöne Gespräche. Sie gaben mir Frieden. Wir sagten nichts. Ich hatte herausgefunden, dass die Schulter … Aber an ein Gespräch

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