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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ich also, ich schätzte die Schönheit, aber lange hatte ich nicht gewusst, wo es diese Schönheit gab, obwohl sie doch neben mir stand und rief. Wir gingen zur Oscarsgate, grüßten nach rechts und links, denn ich ging gemeinsam mit einem berühmten Mann durch das Viertel. Doch wer war ich? Niemand. Ich sonnte mich in seinem Glanz. So war mein Wesen. Mein Wesen ist ganz einfach. Ich sonne mich im Glanz anderer und verstecke mich im Dunkel. Aber was wollte Doktor Lund von mir?
    »Ozaena«, sagte er, als wir den Riddervolds plass überquerten.
    War das eine Frage? Hörte er den Lernstoff ab?
    Ich bemühte mich, die richtige Antwort zu geben:
    »Ein Zustand in der Nase, bei der die Luft beim Ausatmen einen äußerst unangenehmen Geruch annimmt, verursacht durch verrottende Produkte wie Schleim, Eiter und andere Bakterienstoffe. Auch Stinknase genannt.«
    »Als hätte ich es selbst gesagt.«
    Das hatte er ja auch, das heißt, es war Doktor Lund, der das geschrieben hatte.
    Mehr sagte er vorläufig nicht zu dieser Sache.
    Da kam mir ein Gedanke: Zielte er mit der Frage auf mich ab? Unwillkürlich legte ich mir die Hand über Nase und Mund, pustete durch die Nase, konnte aber nichts Spezielles bemerken, wobei ich nicht behaupten wollte, dass mein Oxygen direkt angenehm war, aber eine Stinknase?
    Doch als wir am Stenspark vorbeigingen, fragte er:
    »Hast du dich nach einem Mädchen umgesehen?«
    »Dazu hatte ich keine Zeit.«
    Ich hätte ebenso gut antworten können: Wer will Bernhard Hval, die schlechteste Karte im Stapel, den verkommensten Kerl im Gericht, die Stinknase himself, haben? Aber dennoch berührte und erschreckte mich diese Vertraulichkeit, diese Fürsorge in seiner Frage. Das war die Zuneigung eines Freunds, eines Vaters.
    »Gut. Warte lieber damit, bis du dein Staatsexamen hinter dir hast.«
    Wir gingen schweigend am Stenspark vorbei und kamen in die Pilestredet. Es näherte sich also.
    »Je weiter die medizinische Wissenschaft kommt, umso kranker werden wir«, sagte Doktor Lund.
    Rätsel über Rätsel.
    Ich nickte zustimmend.
    Doktor Lund schlug eine leere Zigarettenschachtel mit dem Stock zur Seite.
    »Und deshalb war meine Einschätzung zu optimistisch.«
    Ich musste fragen. Ich konnte nicht länger in Unwissenheit neben ihm gehen und so tun als ob.
    »Meine Einschätzung von 1912. Ein Arzt pro dreitausend Einwohner. Aber das war vor dem Krieg. Jetzt brauchen wir mindestens fünf pro tausend, vielleicht sechs. Und es werden weitere, größere Kriege kommen. Außerdem sind wir ein Volk von Waschlappen geworden. Wir jammern und beklagen uns bei jeder Gelegenheit. Und weißt du, was das bedeutet?«
    »Mehr Ärzte.«
    »Aber zunächst mehr Studenten. Offene Studien. Multiplizierte Mittelmäßigkeit. Elend auf Elend gestapelt.«
    »Ja, wir gehen elenden Zeiten entgegen«, sagte ich.
    Wir hatten die Lyder Sagens gate erreicht, in der Doktor Lund in einem niedrigen Steinhaus wohnte. Er öffnete die Pforte, und wir gingen eine Stufe hinauf und durch einen kleinen Garten. Das Gras war gelb und vertrocknet. Ich sah eine Frau in einem der Fenster stehen, dann war sie verschwunden.
    »Stinknase«, sagte Doktor Lund zum zweiten Mal in dieser kurzen Zeit.
    Ich glaubte, Doktor Lund würde in Metaphern reden, dass er auf die offenen Studien hinzielte, den Verfall, die jämmerlichen Zeiten, oder ganz einfach auf mich. Deshalb sagte ich, um mithalten zu können:
    »Es gibt zu viele Stinknasen.«
    »Das ist es ja, was ich meine. Wenn du dein Staatsexamen abgelegt hast, solltest du an eine Doktorarbeit über Ozaena nachdenken. Das Thema wird unterschätzt und ist zu wenig untersucht worden.«
    Das würde ja bedeuten, dass ich immer noch im Rennen war. Etwas anderes konnte es gar nicht bedeuten. Wenn du dein Staatsexamen abgelegt hast, hatte er gesagt. Doktortitel! Stinknasen! Ohrfeigen!
    »Ich hatte eigentlich geplant, Kneipps Kuren zu studieren«, sagte ich.
    Das platzte aus mir einfach vor reiner Freude heraus.
    Doktor Lund blieb abrupt stehen und sah mich böse an.
    »Kneipps Kuren? Wir sind doch keine Quacksalber! Sieh nur, wie es deiner Mutter ergangen ist.«
    Er schüttelte den Kopf. Das tat ich auch. Ich schüttelte meinen Kopf noch heftiger und rief fast:
    »Scherz beiseite! Ich werde jeden einzelnen Riechkolben im ganzen Land untersuchen!«
    »Nun, nun«, sagte Doktor Lund.
    In dem Moment wurde die Tür geöffnet, und da stand die Frau, die ich vorher im Fenster gesehen hatte. Sie war klein und adrett, gekleidet in

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