Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Ebene statt, und ich glaube, dass ich mich nicht daran erinnern kann, dass wir uns danach jemals wieder so nahe gekommen sind wie in diesem Moment. Ich bilde mir sogar ein, dass sie ein bisschen geweint hat und ich ihr die Tränen ablecken durfte.
»Du bist ein guter Mensch, Berny«, flüsterte Sigrid.
»Ich bin froh, dass du es so aufnimmst.«
»Natürlich nehme ich es so auf. Ich bin stolz auf dich. Was hast du denn von mir gedacht?«
Das war fast zu viel.
»Möchtest du die Geschenke vor Weihnachten haben?«, fragte ich.
Sigrid lachte.
»Wir verteilen die Geschenke Silvester! Und jetzt lass uns etwas trinken. Ich möchte dich genauso blau sehen wie im Nürnberger Hof!«
Ich lachte herzlich.
»Und dann kannst du mich hinterher ins Schlafzimmer hochtragen, ja?«
Wir rissen uns voneinander los und gingen zum Barschrank. Ich wollte einen Gin, den ich in eine Vase spucken konnte, falls es zu viel des Guten wurde. Sigrid wollte mit Whisky weitermachen. Wir stießen miteinander an. Worauf stießen wir eigentlich an? Dass ich Weihnachten im Rikshospital sein würde? Oder stießen wir auf Sigrids Erleichterung an, weil das, von dem sie fürchtete, dass es das Schlimmste sei, nur eine Bagatelle war?
»Ist das ein Teil der großen Pläne, von denen Lund gesprochen hat?«, fragte sie.
»Glücklicherweise habe ich auch die Möglichkeit, zwischen den Tagen an meiner Promotion zu arbeiten.«
»Du warst der Beste deines Jahrgangs, Berny. Enttäusche uns nicht.«
Ich wandte mich ab und spuckte den Gin in Töpfe und Pflanzen.
»Hast du eigentlich gewusst, dass Frau Lund ein Kind erwartet?«
Sigrid leerte das schwere Glas.
»Diese alte Frau? Die ist schwanger?«
»Ja. In letzter Minute sozusagen. Im Krankenhaus nennen wir es ein Wunder.«
Sigrid bekam ganz schmale Lippen, sie bebten.
Warum erzählte ich ihr das? Warum konnte ich nicht einfach den Mund halten? Denn das war kein lapsus linguae, kein generatio spontanea, kein tic douloureux. Und das war vielleicht das Schlimmste. Ich plauderte einfach drauf los. Ich konversierte. Und ich tat das bewusst und absichtlich. Aber was sollte auch Gutes dabei herauskommen, nachdem wir uns ausnahmsweise einander wieder genähert hatten? Konnten wir nicht einfach die Ruhe genießen und so schnell wie möglich betrunken werden, schlafen, in aller Ruhe aufwachen? Mit anderen Worten: mir fehlte das normale Ermessen, was ich zu meinem so oft beschriebenen Repertoire hinzufügte. Ich hatte die Regel 6 gebrochen: Sage so wenig wie möglich. Ich musste diese Regel 6 umgehend ausweiten: Und um Gottes willen: keine Konversation.
»Das ist ungerecht«, sagte Sigrid.
»Ungerecht? Wie meinst du das?«
»Dass diese verfluchte Alte schwanger wird und ich nicht!«
»Die Natur ist leider nicht gerecht, meine Liebe.«
»Ach, halte doch den Mund! Du solltest lieber deine Natur untersuchen lassen! Schließlich bist du doch Arzt, oder nicht?«
»Was meinst du damit? Natürlich bin ich Arzt. Hast du es nicht gerade selbst gesagt? Der Beste meines Jahrgangs außerdem.«
»Ich rede nicht von deinen fantastischen Examina, Herr Hval. Die sind mir scheißegal. Ich rede von dir als Mann! Bist du da auch der Beste deines Jahrgangs?«
»Ich dachte, wir haben es schön zusammen?«, fragte ich.
Ich predigte natürlich vor tauben Ohren. Wäre es doch auch so gewesen, als ich vorher geredet hatte! Wäre es doch immer so: vor tauben Ohren predigen!
Sigrid wurde unmöglich.
»Wenn du es nicht schaffst, mir bis Ostern ein Kind zu machen, dann musst du dich auch untersuchen lassen.«
»Untersuchen lassen?«
»Bei Doktor Frost.«
»Warst du bei ihm?«
»Natürlich war ich bei ihm. Ich bin wie geschaffen für die Fortpflanzung. Und jetzt bist du an der Reihe, herauszufinden, ob du genauso gut bist.«
In diese Ecke hatte ich mich also freiwillig und sinnlos durch mein Gerede hineinmanövrieren lassen.
»Wenn etwas von mir untersucht werden soll, dann wird das im Rikshospital gemacht«, sagte ich.
»Nein. Wenn es so weit ist, gibst du deine Proben bei Doktor Frost ab. Das ist schon abgemacht.«
»Von wem ist das abgemacht worden?«
»Von mir, Bernhard Hval. Und der Familie.«
Ich schaffte es nicht, die Dettweiler herauszuholen, drehte mich um und spuckte in die Palme am Kamin.
»Vertraust du mir nicht?«
»Was hast du gesagt?«
Ich sah sie erneut an. Ich kann wohl sagen, dass ich wütend war.
»Oder deine Familie? Vertraut sie mir nicht? Bin ich nicht gut genug für sie?«
»Haben wir
Weitere Kostenlose Bücher