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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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einen Grund dafür, dir nicht zu vertrauen?«
    »Natürlich nicht.«
    Plötzlich warf Sigrid das schwere Glas an die Wand, aber es zerbrach nicht, es polterte nur auf den Boden, rollte über den Teppich und blieb dort liegen. Vergesst die Stille nicht. Sie kommt am falschen Ort, zur falschen Zeit. Ich wiederhole: Vergesst die Stille nicht. Sie ging durch Mark und Bein. Doch das war, bevor sie schrie:
    »Wenn die alte Vettel in der Pilestredet schwanger werden kann, dann werde ich es ja wohl verflucht noch mal auch können! Oder bist du derjenige, mit dem etwas nicht in Ordnung ist? Kommst du nach deiner Mutter, oder?«
    Sigrid wurde nicht nur unmöglich, sie wurde ungerecht und gemein.
    Dennoch hätte ich es nicht wiederholen sollen:
    »Die Natur ist nicht immer gerecht«, sagte ich.
    Dieses Mal ging Glas kaputt. Ich bekam eine Scherbe gegen die Wange, kippte ein wenig Gin ins Gesicht, um die Wunde zu säubern. Wozu bin ich schließlich Arzt? Dann gab Sigrid mir eine Ohrfeige, es begann erneut zu bluten, sie lief in ihr Schlafzimmer und knallte auf dem Weg dorthin mit einigen Türen. Ich nahm mich in dieser Nacht heftig vor. Am nächsten Morgen reiste Sigrid zu ihren Eltern nach Drammen. Ich verstand das nicht. Wie sollte sie schwanger werden, wenn wir uns jeder in unserem Bezirk befanden? Nun, wie sie meinte.
    Der Tannenbaum auf dem Universitätsplatz wurde angezündet.
    Das freute mich jeden Morgen. Ich blieb jedes Mal eine Weile stehen und zählte die Lichter. Es waren immer gleich viele. Einige Male kamen Schulklassen, die singend um den Baum gingen. Dann nahm ich einen anderen Weg, ging stattdessen über den Banktorget. Diese Lichter waren nicht auszuhalten. Oder waren es die Kinder, die mich störten? Es kostete viel, und ich hatte bereits mehr als genug.
    Der Schnee fiel schwer und ließ die Straßen funkeln, abgesehen von der Pilestredet, bei der man kaum etwas machen kann. Man konnte sie mit Gold pflastern, es würde nur grau und langweilig in den Sielen und Kloaken der Stadt versickern.
    Der übliche Trott: Visite, Temperaturen, Krankenberichte, eine Wunde im Bauch, die geschlossen wurde, eine Hüfte, die eingerenkt werden musste, Kondrome und Bandwürmer. Ach, ich sehnte mich nach Krebs, Geschwülsten, abgerissenen Armen, Malaria, Lepra! Doch dann musste ich mich selbst an Direktor Lunds Worte erinnern: Nichts ist zu gering in der Kartothek des Leidens.
    Eine Krankenschwester fragte im Vorbeigehen:
    »Haben Sie sich geprügelt, Doktor Hval?«
    »Wie bitte?«
    Sie zeigte lachend auf den Riss in der Wange.
    »Oder waren Sie nur mit dem Skalpell etwas ungeschickt?«
    »Da sagen Sie etwas«, sagte ich.
    Als ich in den Pausenraum kam, wurde es sonderbar still. Ich setzte mich auf meinen Platz, trank meinen Kaffee, aß dazu eine Waffel, sie war trocken und nur schwer hinunterzuschlucken, aber ich beschwerte mich nicht, ganz im Gegenteil, ich hatte genug Spucke, um mehr als eine alte Waffel aufzuweichen. Außerdem hatte ich einige Papiere durchzusehen, die von größter Bedeutung waren. Es ging um die Hygiene. Mit dem Händewaschen wurde geschlampt. Wir liefen Gefahr, in einem Teufelskreis zu enden. Wir trugen sozusagen die Krankheiten von einem Patienten zum anderen. Jemand bemerkte:
    »Du bist also derjenige, der über Weihnachten hier den Laden am Laufen hält, Bernhard?«
    Ich schaute auf. Alle sahen mich an. Und ich ahnte es nicht nur, nein, ich schmeckte den Geschmack dieses bitteren, herablassenden Untertons, auf den wir Kantige so empfindlich reagieren. So hing das Ganze also zusammen. Sie glaubten, ich wollte mich bei Direktor Lund einschmeicheln. Und dabei hatte ich Direktor Lund so lange nicht mehr gesehen, dass ich mich kaum noch daran erinnern konnte. Hier, wo die klügsten Köpfe des Landes versammelt sein sollten, stellten sie also derartige Diagnosen, die doch in dunkle Gassen gehörten, auf Kaffeekränzchen und in Cafés.
    »Ich mache nur meinen Dienst«, sagte ich.
    Und noch eine trockene Waffel.
    Ein anderer wechselte das Thema, er flüsterte, dieser Angsthase:
    »Und die alte Frau Lund kriegt ein Kind! Darüber könnte man eine Doktorarbeit schreiben!«
    »Ja, der Direktor hat beim letzten Durchgang noch einen Volltreffer gelandet.«
    Wir lachten alle über diesen Spruch, nicht zuletzt ich, und ich brach sogleich Regel 6, so wenig wie möglich zu sagen. Ich sagte:
    »Die Eier waren das ewige Gejammer wohl leid, deshalb haben sie sich ergeben. Ich wette eine Runde im Nürnberger Hof, dass es

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