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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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hatte sogar das Fahrtenmesser in die Arzttasche gelegt.
    Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Roadster hoch nach Besserud. Es kostete einige Mühe, ihn zu starten. Und wenn der Roadster vorher noch nicht langsam war, dann war er es jetzt. Ich hatte um einen Dienstwagen angefragt und damit um Zugang zu einer Ration Benzin, falls man kurzfristig zu einem Patienten fahren musste, wie ich erklärte, schließlich war ich ja Arzt. Nicht bewilligt. Jetzt hatte ich einen ganzen Ofen im Kofferraum, in dem die Kohle brannte, die das Gas zum Motor schickte. Ich wäre zu Fuß schneller gewesen. Aber ich wollte ordentlich ankommen.
    Als Erstes sah ich ein Hakenkreuz an der Pforte. Ich versuchte es mit dem Taschentuch wegzuwischen, aber ohne Erfolg. Ich kniete mich hin, spuckte und rieb und rieb und spuckte. War die Okkupation über mich gekommen? Fing ich mit meinem alten Repertoire von vorne an? Musste ich die Dettweiler wieder herausholen? Nein. Diese Übungen hatten einen Sinn. Ich wollte ein Hakenkreuz loswerden. Zum Schluss hob ich das gesamte Tor aus den Scharnieren und warf es hinter die Hecke. Dann ging ich schnell zur Haustür. Einen Moment war ich im Zweifel: Sollte ich klingeln oder meinen Schlüssel benutzen. Ich klingelte. Niemand öffnete. Also schloss ich auf. Im selben Moment kam Sigrid im ersten Stock auf der Treppe zum Vorschein, im Morgenmantel. Ich hatte Empörung und Beschimpfung erwartet, einen Auftritt auf höchstem Niveau. Deshalb hatte ich mich gewappnet. Doch stattdessen überfiel sie eine unerwartete Trauer, als sie sah, wer da gekommen war, ihr Mann. Das war es jedenfalls, was ich sah, eine unerwartete, heftige Trauer. Und gegen die konnte ich mich nicht wappnen. Hatte der Krieg uns beide verändert?
    »Was tust du hier, Bernhard?«
    »Ich will mit dir reden.«
    »Worüber?«
    »Da draußen ist ein Hakenkreuz gemalt worden.«
    »Die Jungs spielen Widerstand, Milorg.«
    »Findest du das passend?«
    Sigrid lächelte zaghaft.
    »Nein, das finde ich nicht, Bernhard. Ich werde die Pforte putzen.«
    »Findest du es passend, ins Ritz zu gehen?«
    Das Lächeln verschwand.
    »Du weißt nicht, wovon du redest.«
    »Hat es mit dem Nürnberger Hof nicht gereicht?«
    »Bitte, geh jetzt.«
    »Hör mir zu, Sigrid.«
    »Du verstehst gar nichts.«
    Ich wurde von einer Liebe zu ihr überwältigt, größer als je zuvor, ich wusste nicht, wieso, vielleicht weil ich sie beschützen wollte, sie vor etwas retten wollte, und das war noch nie vorher passiert.
    »Es ist gefährlich für dich«, sagte ich.
    Sigrid blieb auf demselben Fleck auf der Treppe stehen, band den Gürtel ihres Morgenrocks fester um sich.
    »Alles ist gefährlich«, flüsterte sie.
    Wieder kam diese trotzige Trauer zum Vorschein, und ich wäre am liebsten die wenigen Stufen, die zwischen uns lagen, in einem einzigen Satz nach oben gesprungen und hätte sie in den Arm genommen. Doch auch das war nicht möglich.
    »Wie meinst du das?«
    Sigrid legte ihre Hand auf das Geländer. Sie trug keinen Ring mehr. So tief war sie also gesunken. Ich ballte die Hände hinter dem Rücken zu einer Faust.
    Plötzlich sagte sie:
    »Übrigens gefiel mir die Geschichte, die du damals erzählt hast. Ich glaube, ich habe dir das nie gesagt.«
    »Entschuldigung, welche Geschichte?«
    »Über Janus. Erinnerst du dich nicht mehr?«
    Machte sie sich über mich lustig? War es Spott, was sie im Schilde führte? Ich verstand sie nicht, vielleicht hatte ich das nie getan, und wie schon früher so häufig, wenn wir einander Gesellschaft leisteten, wurde ich eiskalt, meine centripetalen Nerven froren zu Eiskabeln.
    »Ich soll dich von Tora grüßen. Und ihrem Sohn.«
    Sigrid kam eine Stufe herunter.
    »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Geh jetzt!«
    Wir blieben beide reglos stehen. Wer würde sich als Erstes umdrehen, zum letzten Mal? Ich glaube, das war ich. Ich ging nach draußen und setzte mich in den Wagen. Ich würde nie wieder dorthin zurückkehren, wo ich als Kind aufgewachsen war.
    Im Rikshospital drehten mir die Kollegen weiterhin den Rücken zu. Nur die Toten schauten mir in die Augen. Doch ich trug meinen Zweifel wie einen Heiligenschein. Wenn sie nur wüssten. Bald würde dieser Heiligenschein zu einer Trauer werden, die alles in den Schatten stellte.
    Drei Tage später klingelte es nämlich an der Tür im Skovveien. Es war frühmorgens. Ich warf mir schnell ein paar Kleider über und eilte zur Wohnungstür. Es konnte doch wohl nicht die Nachbarin von oben sein? Es

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