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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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hören konnten: Zu einer Missgeburt. Die unbedingte Liebe zu einer Missgeburt. Darauf folgte Gelächter, hinter Händen und Servietten verborgen. Quisling lächelte, mürrisch und gequält. Ich hatte die Damen nicht länger auf meiner Seite. Was ich auch gar nicht wollte.
    »Doch vier Stunden später starb das Kind. Wir taten alles, was in unserer Macht stand, um es zu retten, leider vergeblich. Janus, wie wir ihn nannten, holte zweimal ein letztes Mal Luft, in den Armen seiner Mutter.«
    Kalte Stille umringte mich.
    Dieselbe Dame hob ihren Arm.
    »Wie lange kann so eine … so eine …«
    Ich kam ihr zu Hilfe:
    »Meinen Sie vielleicht Missgeburt?«
    Sie nickte, erleichtert, und die Worte purzelten nur so aus ihrem Mund.
    »Ja! Wie lange kann so eine Missgeburt eigentlich leben?«
    »Zunächst möchte ich nur erwähnen, dass wir diese Bezeichnung nicht benutzen, Missgeburt. Wir verwenden lieber den umfassenderen Begriff Mensch.«
    »Und wie lange kann so ein Mensch leben?«
    Wieder diese Kälte, ein Durchzug, als ständen alle Türen und Fenster offen und spränge der Oktober von Raum zu Raum, um den November einzuholen.
    Wenn die Lüge bei ihnen nicht wirkte, dann sollten sie die Wahrheit erfahren.
    »Das tote Kind wurde hinunter in den Obduktionsraum gebracht, wo ich, wie Sie vielleicht wissen, der Leiter bin, und es wurde auf den Tisch vor mir gelegt. Dort schnitt ich Janus von Ohr zu Ohr quer über den Schädel, mit einem dafür geeigneten Messer, das dem ähnelt, das wir für Wildfleisch benutzen. Das ist sehr zeitaufwendig, da man keineswegs die Innenseite des Schädelknochens beschädigen darf. Sonst ist die Arbeit sinnlos. Und da der Kopf zwei Gesichter hatte, musste ich äußerst vorsichtig sein, ja, mich fast zwischen den vier Augen des Kindes vortasten und gleichzeitig die Kiefer aufsägen.«
    Ich hörte, wie jemand schrie. Außerdem fielen ein oder zwei vom Stuhl, wie ich glaube. Ich fuhr fort:
    »Dann schnitt ich mit einer kräftigen Schere weiter, Sie kennen so eine sicher von der Gartenarbeit, durchdrang die Fontanelle mit einem Dorn von der Größe einer normalen Stricknadel, wissen Sie, und konnte schließlich das Gehirn des Kindes mit eigenen Händen herausholen. Und das war das schönste, perfekteste Gehirn, das ich jemals in meinen Händen gehalten habe. Aber ich will Sie nicht mit Details langweilen. Ich glaube jedoch, er hätte ungefähr zwanzig Jahre alt werden können. Das sah ich, als ich den kleinen Brustkasten öffnete und das Herz fand. In dieser Phase der Öffnung benutze ich üblicherweise eine ganz gewöhnliche Säge, aber in diesem Fall brauchte ich nur eine Feile, nicht größer als eine Nagelfeile. Ich hätte Janus gern aufwachsen gesehen. Zu gern hier im Haus! Er hätte so vieles ausrichten können. Wir dürfen den Menschen nicht wegwerfen.«
    Da hielten sie sich die Ohren zu. Sie wurden ohnmächtig. Diese mutigen Ameisen! Quisling kehrte mir den Rücken zu, während er sich die Hand, mit der er mich begrüßt hatte, am Hosenbein abwischte. Sigrid versuchte den Abend mit mehr Sherry zu retten. Später am selben Abend nahm ich den Roadster, fuhr, so schnell es ging, in den Skovveien und richtete mich dort ein.
    Oh, medulla oblong!
    Seit dieser Jacob aufgetaucht ist und von einem Wintergarten geredet und mir ein Farbband gegeben hat, habe ich nicht mehr geschlafen. Aber was soll ich alter, kantiger Mann noch mit Schlaf? Es sind noch einige Dinge hinzuzufügen: Es kam ein Krieg. Es wurde stiller in der Mäusehalle. Weniger Selbstmorde, weniger Unfälle, weniger Verbrechen, nur natürliche Tode. Ich hätte in aller Ruhe an meiner Doktorarbeit weiterarbeiten können. Aber einige Ausnahmen gab es schon. Ein fünfzig Jahre alter Mann lag tot im Bad seiner Wohnung in Vika, in einer sonderbar zusammengekrümmten Stellung mit einer blutigen Axt vor sich. Er hatte 18 Hiebwunden am Kopf mit charakteristischem Aussehen und Verlauf. Einige verliefen quer durch das Schädeldach und in die großen Blutadern im Gehirn. Wer würde glauben, dass es sich hier um Selbstmord handelte? Ich. Der Mann war deprimiert nach einem Schock, den er sich bei der heftigen Explosion in Filipstad zugezogen hatte, als das Lagergebäude der Deutschen in die Luft flog, ob es sich dabei um ein Werk norwegischer Saboteure oder um einen Unfall handelte, das war nicht zu sagen. Das ging mich auch nichts an. Ein andermal wurde eine 48 Jahre alte Frau tot in ihrer Wohnung auf Skorpsno gefunden, getötet durch Schläge auf den

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