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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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dicke schwarze Samtvorhänge vor die Fenster, denn sie litt nämlich an der Mondkrankheit, weshalb sie so melancholisch und zerbrechlich war, der Mond nahm die Nerven mit auf eine lange, gefährliche Reise, und es gab viel Mond über Besserud.
    Ich blieb die ganze Nacht wach und schaute ihn an.
    Ein andermal, nein, das muss noch warten, bis zu einem andermal.
    Alfred, der Kutscher, später Chauffeur, den ich zum Schluss feuerte, hatte übrigens Hammer draußen stehen lassen. Er trottete im Garten herum, zwischen den Apfelbäumen und den Büschen, ohne Scheuklappen, Beißstange und Geschirr. Es war abgenommen worden, so dass ich es benutzen konnte. Natürlich. Besonders die Beißstange. Sie war für mich gedacht. Damit ich nicht auf die Decke kleckerte. Die Trense auch. Die Trense legte ich nachts an, damit ich nicht mit den Zähnen knirschte. Wie alt kann ein Pferd eigentlich werden? Älter als sein Reiter, seine Peitsche? Ich dachte, dass ein Tier wohl umso älter wird, je größer es ist, und umgekehrt. Ein Elefant wird mindestens 150 Jahre alt, ein Pferd sicher 110, während eine Fliege es nur schafft, ein paar Sekunden lang zu leben. Hammer blieb stehen und fraß etwas, was im Gras lag, höchstwahrscheinlich ein verrotteter Apfel. Der Mond lief über die dunklen, fast schwarzen Flanken, und als Hammer wieder seinen Kopf hob, ganz plötzlich, als wäre er etwas gewahr geworden, vielleicht mich, da war ich sicher, dass ich sehen konnte, dass aus der glatten, flachen Stirn ein Horn hervorwuchs, aber das lag wohl nur an dem Licht.
    Als der Morgen graute, hatte ich eine Lösung gefunden.
    Ich legte einfach einmal Wechselkleidung in den Schulranzen, ging als ein Lackaffe in die Schule, als das Muttersöhnchen, das ich nach Meinung der meisten wohl war, doch statt diesem Weg zu folgen, nahm ich eine Abkürzung über Ris durch den Wald, und in einem niedrigen, wackligen Holzschuppen wechselte ich schnell die Kleider und ließ Mantel und Schleife unter ein paar Baumstämmen liegen. Wenn ich mich umdrehte und zwischen den Bäumen hindurch auf die Lichtung schaute, würde ich Gaustad sehen können, das Krankenhaus für die Geisteskranken, das Asyl, das Irrenhaus, das ringsum von hohen Zäunen umgeben war und einem Schloss ähnelte, mit seinen roten Mauern und dem üppig wachsenden wilden Wein, doch wenn man sich näher heran wagte, dann konnte man die Gitter vor den Fenstern erkennen, und diejenigen, die dort lebten, sie waren schwere, langsame Gespenster, und die Gäste, die zu Besuch kamen, sie waren noch langsamer und hatten riesige Sträuße verwelkter Blumen bei sich.
    Dann konnte ich schnell das letzte Stück in der dicken wollenen Jacke und mit der Mütze laufen, die ich sonst nur anzog, wenn wir im Wald spazieren gingen oder im Garten arbeiteten, was wir aber nur selten taten. Und ich ging mit geradem Rücken. Was wollte ich damit erreichen? Was wollte ich damit einlösen? War es ganz einfach die Anerkennung, nach der ich mich sehnte? Sollte diese Häutung eine Art Eingeständnis sein, eine Abbitte, nämlich dahingehend, dass ich nicht besser war als die anderen, dass ich nicht über ihnen stand? Glaubten sie denn, dass ich 242 Meter ü.d.M. war, nur weil ich auf Besserud wohnte? Ach, wenn sie nur wüssten! Wenn sie nur wüssten, wie tief meine Wohnung lag. Als ich das Tor zum Schulhof öffnete, blieben sie sonderbarerweise alle mit dem Rücken zu mir stehen. Und dabei hatte ich gedacht, sie würden mich alle umringen. Aber war es nicht eigentlich genau das, was ich gewollt hatte: übersehen werden. Nein, nein und nochmals nein. Fissuren und Bandwürmer! Oh, du verfluchte Phimose! Ich wollte gesehen werden, anerkannt, geschätzt. Habt Erbarmen mit mir. Ich war doch noch ein Kind, laut Doktor Lund, und ich hatte weder Nottos Stamina noch seine Würde.
    Die Lehrerin Agnes wartete am Pult. In bestimmten Stunden behielt sie diesen schrecklichen Hut auch drinnen auf, wenn es beispielsweise besonders kalt oder feucht war, wie an diesem Tag. Ich dehne einen Gedanken von damals bis in die heutige Zeit: Wie konnte es sein, dass die Lehrerin Agnes mit so einem Wirrwarr auf dem Kopf herumlief, ohne dass das weitere Folgen hatte, als dass wir sie den Lampenschirm nannten, worüber sie sich übrigens absolut nicht im Klaren war, denn niemand traute sich natürlich, diesen Spitznamen laut zu sagen, wenn sie in der Nähe war. Das hätte nämlich ungeahnte Folgen gehabt. Lag es daran, dass sie so pflichtbewusst und gewöhnlich war,

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