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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Zusammenhang Namen zu nennen. Ich kann den Leser damit trösten, dass es ihnen trotz allem im Leben gut ergangen ist. Sie wurden Reeder, Juristen und Buchhalter, und jetzt sind sie alle zusammen hoch dekoriert und tot. Doch an diesem späten Tag, am Nachmittag, bereits in der Dämmerung, sah die Sache anders aus. Plötzlich standen sie um mich herum, ich in der Mitte in meiner indischen Unterwäsche. Sie betrachteten mich voller Verwunderung und Abscheu. Ich wusste natürlich, dass ich in Gefahr war. Was mir aber die größten Sorgen machte, war, dass ich sie nicht vorher bemerkt hatte, nicht gehört oder gerochen hatte. Jetzt war es zu spät. Jetzt kam ich nicht mehr davon.
    Si vis pacem, para bellum.
    Es ging folgendermaßen vor sich:
    Drei Jungen hielten mich fest, während der vierte das Verhör führte:
    »Wichst du hier im Holzschuppen?«
    »Nein.«
    »Was machst du denn dann nackt hier?«
    »Ich sonne mich.«
    »Du wichst nicht hier im Holzschuppen, weil du in den Pausen schon genug gewichst hast. Stimmt’s?«
    »Nein.«
    »Warum rennst du dann immer aufs Scheißhaus? Hast du Dünnpfiff?«
    »Ja.«
    »Denkst du an den Lampenschirm, wenn du wichst?«
    »Nein.«
    Sofort war mir klar, dass die Antwort total falsch war.
    Alle lachten, alle, bis auf mich.
    »Dann wichst du also doch!«
    »Nein!«
    »Du hast doch gerade gesagt, dass du wichst.«
    »Habe ich nicht gesagt.«
    »Denkst du an diese Hure, wenn du wichst?«
    »An wen?«
    »Deine Mutter.«
    Ich versuchte mich loszureißen, aber es nützte nichts. Ich war deutlich in der Minderheit. Ich hatte keine Kraft. Ich konnte nur noch mit den Zähnen knirschen. Ich knirschte mit den Zähnen. Die Kälte färbte meine Haut fast blau. Ich fing stattdessen an zu heulen. Das muss ihnen Angst eingejagt haben. Der Junge, der meine Hände auf dem Rücken festhielt, ließ los.
    »Bernhard erfriert ja«, flüsterte er.
    Der Anführer, er hieß Anton, Sohn des Apothekers vom Valkyrie plass, trat einen Schritt zurück und musterte mich. Dann sagte er:
    »Wir sind barmherzig. Du kannst dir aussuchen, welche Kleidung du anziehen willst.«
    Ich entschied mich für Mantel und Schleife. Niemand sagte derweil etwas. Ich fragte mich, was wohl als Nächstes kommen würde. Es war offensichtlich, dass sie noch nicht fertig waren. Meine Finger waren angeschwollen. Ich schaffte es kaum, das Hemd zuzuknöpfen und die Schnürsenkel zu binden. Dann stand ich da, in meinem wahren Kostüm, der Lackaffe, der ich war.
    Anton zog ein Papier aus der Gesäßtasche.
    »Hör genau zu, Bernhard Hval. Hörst du?«
    Ich nickte.
    Und Anton fing laut an zu lesen, und war es nicht ein Wink des Schicksals, ein deutlicher Wink, dass sich herausstellen sollte, dass er aus Doktor Lunds monumentalem Informationswerk Medizinisches Handbuch für das norwegische Heim las? Doch wer hier winkte, das kann ich nicht mehr sagen. Anton hatte offenbar Seiten aus einem Exemplar herausgerissen, das sein Vater, der Apotheker, im Bücherregal stehen hatte, oder aber unter dem Tresen liegen. Und wie sollte Anton später erklären, dass ausgerechnet die Seite 526 fehlte? Dass nach Mannesalter gleich Menstruation kam? Vielleicht war ich es doch, der da winkte. Ich musste innerlich lachen.
    Masturbation. Selbstbeschmutzung, die durch künstliche Irritation der Geschlechtsteile den Nervenakt hervorruft, der nach den Regeln der Natur und den Gesetzen der Moral nur aufgrund eines Geschlechtsverkehrs vor sich gehen soll. Dieses Laster kann viel Unglück über den Einzelnen bringen. Es tritt ein bleichsüchtiger Zustand mit fahler Gesichtshaut und bläulichen Ringen unter den Augen ein. Die geistigen Fähigkeiten lassen nach, besonders das Gedächtnis. Der Sinn wird getrübt, und es entwickeln sich Misstrauen und ein Hang zur Verwirrung. Unter diesen Umständen ist es notwendig, sich an einen Arzt zu wenden.
    Den letzten Satz wiederholte er mit Nachdruck.
    »Unter diesen Umständen ist es notwendig, sich an einen Arzt zu wenden.«
    Anton faltete das Papier zusammen, schob es sich wieder in die Gesäßtasche und schaute mich an.
    »Du musst zum Arzt, Bernhard Hval«, sagte Anton.
    Und damit wurde ich zum Zaun gezerrt. Zuerst versuchten sie mich drüberzuschieben, doch das ging nicht. Der Zaun war zu hoch. Anton wühlte in seinem Schulranzen und fand schließlich eine Säge, die er beim Werkunterricht hatte mitgehen lassen. Es war also alles genau geplant. Er sägte ein passendes Loch, und mit vereinten Kräften zwängten sie mich durch

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