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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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wir dann sitzen würden, mein Lieber?«
    So redeten sie miteinander, zumindest, wenn ich dabei war. Ich glaube, es war gar nicht böse gemeint, und ich möchte sie keinesfalls in ein schlechtes Licht rücken. Es war eher eine Art Spiel oder ein Duell, und wie sie miteinander umgingen, wenn sie allein waren, das kann ich nicht sagen, falls sie überhaupt jemals nur zu zweit waren. Sie hatten jedenfalls jeder ein eigenes Schlafzimmer.
    »Auf dem Plumpsklo mit dem Kopf im Scheißloch«, sagte ich.
    Danach ließ ich Messer und Gabel fallen, nein, bereits während ich das sagte, und als das Besteck auf den Teller auftraf, hob meine Mutter ihr Glas, und mein Vater drehte sich zu mir um.
    »Wie läuft es unten in der Schule, Bernhard?«
    Ich konnte kaum atmen und schaute zu Boden.
    »Gut.«
    »Welches Fach ist momentan dein bestes?«
    »Rechnen.«
    »Gut. Mach weiter so.«
    Vater schenkte Mutter mehr Wein ein.
    Hatte er es nicht gehört, oder tat er nur so, als hätte er es nicht gehört? Und was war mit Mutter? Sie hatte so was schon vorher gehört. Neunundneunzig Fotzen. Aber sie hatte nicht mit der Wimper gezuckt. Wollte sie es nicht hören? Das war vielleicht das Schlimmste, denn nun fing auch ich an zu zweifeln. Auf dem Plumpsklo mit dem Kopf im Scheißloch. Hatte ich es wirklich laut gesagt oder nur für mich, waren die Worte nur eine lautlose Eingebung gewesen, ein Gedanke, oder hatte ich vielleicht etwas ganz anderes gesagt? Oh, himmlisches Blau! Eine Ohrfeige wäre mir lieber gewesen.
    »Darf ich vom Tisch aufstehen?«
    Vater beugte sich vor.
    »Was hast du gesagt? Du willst vom Tisch aufstehen?«
    »Ja«, flüsterte ich. »Ich …«
    Er unterbrach mich.
    »Wir haben doch noch gar kein Dessert gehabt. Außerdem hast du noch nicht aufgegessen, was du auf dem Teller hast.«
    Das war schlimmer als der Kopf im Plumpsklo und neunundneunzig Fotzen.
    »Nein.«
    Ich holte tief Luft, ergriff Messer und Gabel und schnitt die letzten Fleischstückchen in so kleine Würfel, dass es nicht mehr zu erkennen war, dass diese Krümel einmal ein Kalb gewesen waren. Trotzdem bekam ich sie nicht hinunter. Ich schluckte und schluckte. Doch es nützte nichts. Ganz im Gegenteil. Das, was bereits unten war, kam langsam wieder hoch, eine antiperistaltische Bewegung, bestehend aus Galle, Darmresten und halbverdautem Essen, und ich konnte nicht länger an mich halten, ich spuckte alles, was lose war, auf die Tischdecke, es war ein so umfassendes Erbrechen, dass der Kronleuchter schaukelte und Hammer anfing zu wiehern.
    »Was gibt es denn überhaupt zum Dessert heute?«, fragte Vater.
    Mutter schüttelte den Kopf.
    »Keine Ahnung.«
    »Ausgezeichnet. Wer wartet, wird es sehen.«
    Mutter tupfte sich den Mund ab, faltete die Serviette zusammen und bohrte ihren Blick in Vater.
    »Du mutest dir doch hoffentlich nicht zu viel zu, Oscar?«
    »Ob ich mir zu viel zumute? Wie meinst du das?«
    »Na, der Betrieb, Oscar. Ich hoffe, du verzettelst dich nicht.«
    Vater faltete die Hände vor sich, zufrieden mit diesem Interesse.
    »Ich verteile die Werte so, dass die Summe größer wird«, sagte er.
    »Ich hoffe nur, dass du nicht zu viel riskierst, Oscar. Eigentlich bin ich der Meinung, wir hätten uns mit den Nadeln zufrieden geben können.«
    Vater schüttelte lächelnd den Kopf angesichts dieser charmanten Unwissenheit.
    »Wenn sogar der Ministerpräsident sagt, dass der Himmel wolkenlos ist …«
    Mutter unterbrach ihn.
    »Ach, es ist doch die Pflicht der Politiker, zu behaupten, dass der Himmel wolkenlos ist, auch wenn es in Strömen regnet.«
    Vater blieb eine Weile schweigend sitzen. Dann sagte er:
    »Ihr habt große Überraschungen zu erwarten.«
    Mutter zog beide Augenbrauen hoch.
    »Überraschungen?«
    »Ja, Betty. Große Überraschungen.«
    »Und was für welche?«
    »Wenn ich das sage, dann ist es doch keine Überraschung mehr.«
    Mutter wurde kindlich und ganz weich.
    »Nun sag schon«, sagte sie.
    »Du wirst schon sehen«, sagte Vater.
    Mutter wurde wieder hart.
    »Sind es gute oder schlechte Überraschungen? So viel kannst du ja wohl sagen!«
    Es gab Apfelmus zum Dessert.
    Dann durfte ich in mein Zimmer hochgehen.
    Mutter, die also Betty hieß, aber eigentlich Beatrise, niemand wird heutzutage noch Beatrise getauft, trieb auch so ihre Sachen, nicht nur Vater. Sie trieb die Haushaltshilfen in den Wahnsinn, und in der Zwischenzeit reiste sie zu immer neuen Kurorten, Druskieniki, Gmunden, Bukowine, was aber auch nichts nützte, und sie hängte

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