Die universellen Lebensgesetze des friedvollen Kriegers
lachte. «Genau das ist das Problem! Mit dem Kopf kannst du das alles nicht begreifen, du kannst es nur fühlen . Und in jenen seltenen Augenblicken erweiterten Bewußtseins, in denen du es fühlst, wird dein Geist endlich zur Ruhe kommen. Dann tauchst du in einen Zustand vollkommenen Glücks ein und erlebst reinen Frieden und reine Freude. Bis dahin sind das alles nur leere Worte.»
Irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas Wichtiges zu versäumen. Ich seufzte. Wie gern hätte ich diesen Zustand, den sie mir beschrieb, jetzt erlebt!
Wieder einmal antwortete die weise Frau auf meine innersten Gedanken. Sie hob mein Kinn und blickte mir in die Augen. Ich fühlte mich von ihrem Blick in ihr Gesicht hineingezogen, immer tiefer, bis es sich zu verändern begann. Zuerst war es von einem Lichtschimmer umgeben; dann wandelte es sich in das Gesicht einer sehr alten Frau, dann eines wilden Kriegers, und so stets aufs neue in immer wieder neue Menschen, bis ich schließlich — mich selbst vor mir sah! Damit meine ich nicht etwa nur mein Spiegelbild; nein, die Frau und ich waren vielmehr zu einer Einheit verschmolzen, so daß keine zwei Lebewesen mehr existierten.
Mit einem Schlag kehrte ich wieder in mein Alltagsbewußtsein zurück. Wir saßen mit gekreuzten Beinen im weichen Gras. Ich war immer noch ganz benommen und völlig sprachlos. «Das war nur ein kleiner Vorgeschmack, lieber Wanderer», sagte die weise Frau. «Ich erwarte nicht
von dir, daß du in deinem Alltagsbewußtsein diese Einheit mit der gesamten Schöpfung erlebst, nicht einmal, daß du daran glaubst oder sie voll und ganz begreifst. Dieses Erlebnis ist eine Gnade Gottes. Aber wenn du diese Einheit auch nur mit einem einzigen Menschen erlebt hast, dann kannst du sie mit der ganzen Welt erfahren. In deinem innersten Herzen kennst du diese höhere Wahrheit; deshalb kannst du dich jederzeit auf das Gesetz der Einheit einstimmen. Du brauchst dich nur zu entscheiden, andere Menschen, Freunde wie auch Feinde, als Teile deines größeren Ichs zu betrachten.
Frage dich also bei deinem nächsten Streit, Liebesakt oder sportlichen Wettkampf», fuhr sie fort, «was wäre, wenn du diesen anderen Menschen, mit dem du zu tun hast, als Teil deiner selbst empfändest, wenn du alle als eine Einheit sähest? Wie würdest du dann handeln? Wie würde sich das auf deine Beziehungen zu anderen Menschen auswirken? Was würde mit deinen Neidgefühlen oder deiner Eifersucht geschehen? Was würde passieren, wenn dein kleines egoistisches Interesse sich zu einem größeren, umfassenderen Interesse erweiterte? Würde aus Konkurrenz nicht Kooperation werden, wenn du einsähst, daß selbst deine Feinde in Wirklichkeit deine Lehrer und Schüler sind — ein Teil von dir selbst?»
«Ich glaube, diese Erkenntnis würde fast alles verändern.»
«Ja, diese Einsicht kann tatsächlich die Welt verändern, Seele um Seele», bestätigte die weise Frau.
«Manche Lehrer und manche Bücher beschäftigen sich mit dieser Idee der Einheit.»
«Aber nur wenige Menschen greifen sie auf», entgegnete sie. «Die Welt wird erst jetzt allmählich bereit für die Erkenntnis, daß die menschliche Entwicklung, ja sogar die
menschliche Existenz an sich von dieser umfassenderen Sicht unserer Menschheit als Einheit abhängt. Genau wie unsere verschiedenen Organe zum Wohl unseres ganzen Körpers zusammenwirken, wirkt auch der Umschwung von egoistischem Konkurrenzdenken zu großherziger Kooperation im Interesse des Ganzen Körpers Menschheit.»
In diesem Augenblick wurde mir klar, warum die weise Frau mich bei unserer ersten Begegnung wie einen verloren geglaubten Bruder begrüßt hatte. Sie betrachtete mich und alle anderen Menschen tatsächlich als einen Teil ihrer selbst. «Du verstehst sicher», antwortete sie auf meine Gedanken, «warum das Leben für mich voller Komik ist. Wenn ich mit dir spreche, einen Baum betrachte oder die Rehe beobachte, dann sehe ich in Wirklichkeit nur einen anderen Aspekt meines eigenen Ichs vor mir. Und wenn ich Beeren pflücke, ist es, als ob ...»
«So wie in dieser Geschichte von J. D. Salinger», unterbrach ich sie. «Da trinkt ein Junge ein Glas Milch und hat dabei das Gefühl, «Ja, lieber Wanderer, genau das meine ich. Und wenn du erst einmal Freunde und Feinde, geliebte Menschen und Fremde durch die Augen des Einen Wesens betrachtest, dann verschwinden deine Probleme und Konflikte, alle Wunden werden geheilt, und alle Widersprüche
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