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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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besser hätte laufen können. Und wenn das passiert, verwandelt sich Verbitterung in Erinnerung, in schöne Erinnerung an dieses kurze, intensive Glücksgefühl, von dem du dann dein Leben lang zehren wirst.«
    »Aber …«
    Er war mir beim Aufsetzen geradezu in den Schoß gefallen, und wie ein Fisch auf dem Trockenen sah er nun zu mir hoch, überwältigend und erbarmungswürdig hilflos. Ich aber durfte nicht schwach werden. Ich durfte nicht, weil ich sonst nicht nur ihn, sondern auch seinen Vater an der Backe, ja auf dem Gewissen hätte, und das durfte einfach nicht sein. Ich zwang mich zur Strenge und belehrte Tim:
    »Nein, kein Aber. Es ist so. Glück ist total vergänglich, gerade seine Flüchtigkeit ist es doch, die seine Schönheit ausmacht, seine Besonderheit. Ich weiß, dass du mir das jetzt nicht glauben kannst, dass du lieber weiter an deinen Träumen von einem gemeinsamen glücklichen ›Und-wenn-sie-nicht-gestorben-sind‹ festhalten willst. Das sind Märchen, nichts als Hirngespinste. Ich spreche da aus eigener Erfahrung, ich hab das auch alles schon erlebt. Ich hab damals genauso geweint wie du jetzt, geheult wie ein Schlosshund hab ich. Aber ich hab’s überlebt, und das wirst du auch.«
    »Ich will dich aber nicht verlieren.«
    Er weinte, ich verdrehte theatralisch gemein die Augen.
    »Du musst mich verlieren, wenn du jemals glücklich sein willst. Später wirst du einsehen, wie notwendig das gewesen sein wird. Ich bin nur der Anfang für dich, es werden neue, andere, bessere Männer kommen als ich, und die werden dich wirklich glücklich machen. Ich aber nicht, ich würde dir nur Unglück bringen. Und deshalb kann ich einfach nicht mit dir zum Fähranleger kommen, dir zum Abschied winken und sehen, wie du langsam in der Ferne hinter dem Horizont verschwindest, obwohl ich weiß, dass du dich total armselig und vielleicht sogar wertlos fühlen wirst. Das kann ich leider nicht ändern, da musst du jetzt alleine durch.« Und dann, nach einem letzten tiefen Atemzug, holte ich zum alles vernichtenden Schlag aus: »Es ist schade, dass es so kommen muss, aber das haben wir doch im Grunde genommen beide von Anfang an gewusst. Dass das hier nicht mehr als ein Urlaubsflirt sein kann …«
    Tims Stimme und Blick brachen, er bekam kaum noch Luft.
    »Das ist kein Urlaubsflirt! Nicht für mich!«
    Ich wollte dieses Drama nur noch so schnell wie möglich beenden. Ich zog mir die Decke bis ans Kinn hoch, zwang ihn so endgültig von mir herunter.
    »Doch, auch für dich. Geschichten auf Inseln haben niemals eine Zukunft, denn jede Insel versinkt früher oder später im Meer.«
    Er war nur noch ein kauerndes Häuflein Elend neben mir.
    »Hör doch auf …«
    »Du musst nur bereit sein, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Oder überhaupt Konsequenzen zu ziehen. Wenn du meinst, deinen Eltern sagen zu müssen, dass der Grund, warum du zuerst so glücklich und jetzt so am Boden zerstört bist, ein anderer Mann war, okay, dann sag es ihnen. Sag ihnen, dass du schwul bist. Wenn es dich von einer Last befreit, tu es. Aber erwarte nicht, dass deine Eltern dann ein Freudenfeuerwerk abbrennen werden, besonders nicht von deinem Vater. Väter sind da ziemlich eigen. Er könnte dir das niemals verzeihen. Und wissen, wer es war, der eventuell seinen Sohn verführt hat, will er vermutlich auch gar nicht erst, zu schmerzhaft dürfte für ihn die Wahrheit sein. Eltern müssen nicht Namen und Gesichter der Liebhaber ihrer Söhne erfahren, zumindest nicht bis auf den einen, der vom Liebhaber irgendwann zum Partner wird und den man sonntags mit zum Kaffee bringen kann. Von Liebhabern wollen Eltern gewöhnlich nichts wissen, das hat zu viel mit Sex zu tun, mit für sie unappetitlichen Vorstellungen von Sex. Also belästige sie damit gar nicht erst. Tu ihnen nicht mehr weh als nötig, dann tun sie auch dir nicht mehr weh als nötig, das ist meine Devise.«
    Bei diesen Worten war ich aus dem Bett gestiegen und hatte, ihm, dem Weinen hinter mir, den Rücken zukehrend, damit begonnen, mich anzuziehen. Ich wollte sein von Trauer und Verzweiflung zerknautschtes Gesicht nicht länger ansehen müssen. Sein ersticktes Flüstern, das die Wahrheit wie den letzten Satz auf dem Totenbett sprach, drang mir ohnehin schon wie ekelerregende Säure brennend ins Ohr.
    »Aber du bist mehr als nur ein Liebhaber für mich.«
    »Du aber nicht für mich. Und jetzt geh, es ist schon viel zu spät.«
    Ich sagte es zum Fenster hinaus und wandte mich auch danach

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