Die unsicherste aller Tageszeiten
dass sie die der Homosexualität Bezichtigten und Überführten nicht mehr physisch auszulöschen suchte, sondern sich damit begnügte, ihnen psychisch und sozial das Leben zur Hölle zu machen. Er war eben über zwanzig Jahre alt, als 1969 der Paragraf 175 reformiert und damit die Nazi-Herrschaft auch in diesem Bereich endlich beendet wurde; seinen ersten Sex aber hatte er mit sechzehn, wie er mir einmal erzählte. Wäre er dabei erwischt worden, vermutlich hätten ihn weder familiärer Stand noch Geld davor bewahrt, von den Mühlen dieses gnadenlosen, von christlichem Hass betriebenen Systems, das auch immer noch gern mal davon sprach, im Sinne der Volkshygiene zu handeln, zermahlen zu werden.
»Es war eine graue Zeit, und je älter ich und je bewusster mir dies wurde, desto grauer und grauenvoller wurde sie«, fasste Klaus zusammen, wie er es damals erlebt hatte. »Alle versuchten so gleich- und stromlinienförmig wie nur irgend möglich zu sein, um nur ja nicht aufzufallen oder – Gott bewahre! – anzuecken. Mit jedem Tag wurde die Atmosphäre biederer, drückender; kein Wunder, dass die 68er so eingeschlagen sind und die Gesellschaft derart verändern konnten. Die Gesellschaft war längst morsch von innen, vollkommen faul. Das lag nicht zuletzt daran, dass die allermeisten der guten Mitbürger natürlich auch noch Dreck am Stecken hatten aus der Zeit, da sie alle Nazis waren. Der musste ja auch irgendwie unter den Teppich gekehrt werden. Da war es gut, einen Prügelknaben zu haben, einen neuen Sündenbock, auf den sich nun, da die Juden entweder vernichtet waren oder unter Naturschutz standen, alle einigen konnten. Scheinbar braucht jede Gesellschaft, egal ob alt oder jung, einen Personenkreis, den sie ausschließen, auf dem sie rumhacken kann, das ist ihr wirklicher sozialer Kitt. Auch die Solidargemeinschaft erhebt nämlich ihre Steuern, und die werden nicht mit Geld beglichen, sondern mit dem Leid einer Minderheit, auf deren Rücken man nach Lust und Laune und staatlich sanktioniert herumtrampeln darf. In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik waren das die Schwulen.«
»Das ist nun aber sehr bitter«, fiel mir darauf nichts Besseres zu antworten ein, denn in meinen Ohren klang das alles nach alten, längst abgeschnittenen Zöpfen.
»Wenn du meinst«, antwortete Klaus nur achselzuckend. »Es stimmt ja auch, die Bundesrepublik hatte den Rosa Winkel abgeschafft, dafür gab es überall die Rosa Listen, eine wesentlich subtilere Variante des Verfolgens und Brandmarkens. Bist du einmal in die Rosa Listen gewandert, warst du ein für alle Mal erledigt.« Er schnaubte. »Ganz ehrlich, da lob ich mir die Nazis, bei denen wusste man zumindest, woran man war. Die haben klipp und klar von Ausrottung gesprochen und das dann auch durchgezogen, zumindest solange sie an der Macht waren. Nach der Niederlage wollte es dann plötzlich keiner mehr gewesen sein, aber ganz die Finger davon lassen, konnten sie auch nicht. Im Gewand der Bundesrepublikaner gesellte sich dann zu ihrem natürlichen Hang zur barbarischen Brutalität auch noch ein Zug ins Heuchlerische und Verlogene.«
Mich interessierte das alles nicht, mir fehlte dabei die scharfmachende Komponente. Und überhaupt klang mir das alles viel zu zynisch, Klaus wirkte durch all die Verbitterung, die ich so nie zuvor an ihm bemerkt hatte, die er dankenswerterweise bisher sorgsam vor mir versteckt hatte, auf einmal ungeheuer alt auf mich.
»Bist du jemals auf diese Rosa Listen geraten?«, fragte ich.
»Nein, ich hatte Glück.«
«Warum?« Ein kleines bisschen Enttäuschung konnte ich nicht verbergen. »Du hast doch aber schon was gemacht, oder? Du warst nicht die ganze Zeit über keusch wie ein Mönch?«
»Ich hatte Glück«, erklärte er, »ich bin von Anfang an über einen älteren Freund in Kreise geraten, die alles privat machten. Was ich machte, machte ich privat. Ich mied grundsätzlich Parks und Klappen und sogar Flirten in Cafés. Erst 1978 bin ich das erste Mal in ein schwules Café gegangen, und es sollte noch Jahre dauern, bis ich mich als Schwuler in der Öffentlichkeit, und war es auch nur eine schwule Öffentlichkeit, wohlfühlte.«
»Du hattest Komplexe!«
»Vermutlich, ja.«
»Dann hast du auch die gesamten Siebzigerjahre verpennt?«, fragte ich völlig entgeistert. »Das sollen doch die goldenen Jahre des Schwulensex gewesen sein!«
»Wie du schon sagtest, ich war kein Mönch, aber trotzdem sehr zurückhaltend.«
»Soweit ich weiß, sind
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