Die unsicherste aller Tageszeiten
meine Begehrlichkeiten zu wecken, sondern auch mit dieser Information im Hinterkopf. Bevor ich an jenem Abend in genau die Bar, in der ich ihn und seine Kunstweltfreunde schon des Öfteren gesehen, ja beobachtet hatte, loszog, hatte ich mich deshalb nicht nur besonders schick zurechtgemacht, sondern auch meine Mappe mit den Radierungen offen auf dem Schreibtisch liegen gelassen. Nicht unbedingt drapiert, man hätte es auch als Saumseligkeit oder überstürzten Aufbruch interpretieren können, aber eben auch nicht ganz unabsichtlich. Ich hatte einen Plan, einen doppelten, und seine beiden Stränge erfüllten sich in dieser Nacht: Erst bekam ich seine Attraktivität, dann sein kaufmännisches Know-how.
In Windeseile hatte ich eine Ausstellung in seiner Galerie, die ein überwältigender Erfolg wurde. Und mein Galerist behandelte mich immer fair, niemals, bis heute, sollte ich das Gefühl haben, von ihm über den Tisch gezogen worden zu sein. Aber kaum hatten wir nur einen Tag später den Vertrag unterschrieben, erklärte er mir mit geradezu verletzendsachlicher Stimme, dass er grundsätzlich niemals Gefühl und Geschäft miteinander vermische.
»Dann war also alles nur Sex für dich?«, spielte ich die für eine bessere Partie sitzen gelassene Liebschaft.
»Was hat Sex mit Gefühl zu tun.« Er zuckte nur mit den Achseln.
Ich fühlte mich etwas übertölpelt. An vieles hatte ich gedacht, nur nicht daran, dass er mit keiner anderen Erwartung auf mich zugekommen war als der, mit einem attraktiven jungen Kerl eine heiße Nacht zu verbringen. Er hatte ja sonst nichts über mich gewusst, kannte nur meine äußere Hülle und hatte ausschließlich auf diese reagiert. Außerdem war er älter und abgeklärter als ich, der ich noch nicht wirklich dazu imstande war, Sex und bürgerliche Liebesbeziehungsfantasien voneinander zu trennen.
Ich schwieg, schluckte meinen Ärger herunter und lernte, mit seiner allzu direkten Art, die allzu oft die Grenze zur Taktlosigkeit überschreitet, zu leben. Dass ich mich verletzt, weil zurückgewiesen, fühlte, wollte ich weder ihm zeigen noch mir selbst eingestehen. Dass ich für einen kurzen Moment davon geträumt hatte, vielleicht beides auf einmal haben zu können, einen tollen Partner und beruflichen Erfolg, wollte ich sowieso nicht wahrhaben, mochten mir die Scherben dieses Traums auch die Finger zerschneiden. Mit blutigen Händen stürzte ich mich mehr denn je in das hitzige nackte Treiben der Szene, während ich mir vorstellte, wie er einsam in seiner Galerie hockte und für mein Einkommen schuftete.
Ich trieb es wilder als jemals zuvor, mein mit der Plötzlichkeit eines Atompilzes aufblühender Ruhm half mir dabei. Schon vorher hatte ich gehörig Schlag bei den Herren, zum einen wegen meines guten Aussehens – und das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor, wer etwas Gegenteiliges behauptet, der lügt und ist vermutlich selber einfach nur hässlich – und meines großen Schwanzes wegen – das ist der größte Gott des Mannes, nicht nur des schwulen Mannes, er ist noch wichtiger als Geld – und zum anderen wegen meines Rufes, absolut hemmungslos und dauergeil zu sein. Und jetzt, als sich Geilheit und Geld in meiner Person vereinten, lag mir die geballte Männlichkeit der Stadt Hamburg erst recht zu Füßen, selbst dann, wenn ich vor ihr kniete. Auf einmal verfügte ich über alle wichtigen, über die einzig wahren Aphrodisiaka, die es wirklich gibt, und ich zögerte keine Sekunde und niemals, sie einzusetzen. Ich war die schönste, die prachtvollste Blume der Stadt, eine nachtschwarze Orchidee von betörendem Duft, und jedes Insekt wollte seinen Rüssel in mich stecken und von mir kosten. Und ich ließ sie alle, bis sich genügend andere Körperumrisse in meine Erinnerung eingedrückt hatten, um den meines Galeristen wirklich vergessen zu machen.
Ich blieb ihm jedoch weiterhin eng verbunden, nicht zuletzt deshalb, weil er mein einziger echter Kontakt in Hamburg war. So nahm er mich etwa immer wieder mit, wenn er ausging, ließ mich an seinen Kontakten teilhaben und stellte mich potenziellen Käufern ebenso wie infrage kommenden Liebhabern vor. Einen Gutteil der Männer, mit denen ich damals im Bett landete, hat er mir persönlich zugeführt. Ich würde sogar behaupten und ihm wohl damit nicht zu nahe treten, dass er meine Ausschweifungen ganz bewusst förderte, weil er das unstillbare Verlangen als Kern meines Wesens und damit als Treibstoff und Feuer all meines Handelns
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