Die unsicherste aller Tageszeiten
ausgemacht hatte. Nicht zuletzt deshalb führte er mich in die Gesellschaft der oberen – schwulen – Zehntausend Hamburgs ein. Und sein Plan ging auf, wenn vielleicht auch nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hatte, und schon gar nicht so, wie ich es mir jemals erträumt hätte. Dabei hätte ich kaum überrascht sein dürfen, denn wenn ich mich auf eine Sache stets verlassen kann, dann die, dass mein Leben immer wesentlich radikaler ausfällt als beim Durchschnitt. Als litte ich an Fresssucht, muss ich so lange alles in mich hineinstopfen, bis es kotzend wieder oben rauskommt, bis ich mir das Schöne wie das Hässliche auf die Schuhe kotze. Dann ist mir einen Moment elend zumute und ich weiß gar nicht so recht, ob ich mich nun schämen oder doch lieber selbst bedauern soll, und dann mache ich genauso weiter wie bisher. Mein Leben, eine Dauerwiederholung.
Trotzdem wäre es gelogen, würde ich behaupten, ich hätte die Zeit damals mehrheitlich nicht genossen. Ich war der neue aufgehende Stern am gierig irrlichternden Abendhimmel des Kunstmarktes, und buchstäblich jeder wollte mich haben, an der Wand, im Bett und am besten beides zugleich. Geführt von meinem Galeristen und durch meinen Erfolg mit einer eigenen Eintrittskarte versehen, stieß ich bald schon in die höchsten Kreise vor. Wohlgemerkt, es war mein Erfolg, der mir Tür und Tor öffnete, nicht mein Talent. Talent zählt in diesen Kreisen gar nichts oder zumindest so gut wie gar nichts. Diejenigen, die den nötigen Kunstsachverstand besitzen und deine Bedeutung als Künstler wirklich einschätzen können, sind an einer Hand abzählbar. Nein, man beginnt, dich zu kaufen, weil die Preise für deine Werke plötzlich in den Himmel schießen, weil deine Radierungen und Ölgemälde plötzlich entweder ein tolles Statussymbol oder ein sehr gutes Abschreibungsobjekt darstellen. Mit dir, dem Schöpfer all dieser ach so herrlichen Werke, dann auch noch persönlich befreundet zu sein, setzt dem Ganzen nur noch die Krone auf. Mehr ist es nicht, das ist die ganze Mystik des Erfolges. Ich brauchte eine gewisse Zeit, das zu begreifen, aber mir hat es trotzdem sehr gefallen. Ich liebte es, ein Star zu sein. Alles zu bekommen, was auch immer ich wollte; wer träumt denn nicht davon?
Als ich herkam, war ich nichts weiter als ein schöner Niemand. Als ich wieder ging, war ich jemand, kannte sie alle und bekam, wonach es mich verlangte. Dennoch verließ ich die Stadt, fluchtartig, denn nicht zuletzt durch mein Verhalten war sie zu einem gleichsam verseuchten Ort für mich geworden, ein sorgsam von mir selbst vermintes Gelände, auf dem ein weiterer falscher Tritt genügte, um Leben und Ruf zu kosten. Ich hatte Fehler gemacht, die ich nur zum Teil jugendlichem Leichtsinn zuschreiben kann, von denen ich nicht wusste, wie ich sie jemals wieder ausbügeln und schon gar nicht wiedergutmachen sollte. Ich hatte mich verhalten wie der Fuchs im Hühnerstall, in einen Rausch verfallend, der nichts mehr mit Jagdinstinkt oder dem natürlichen Bedürfnis, seinen Hunger zu befriedigen, zu tun hatte, und der erst endete, nachdem alles Federvieh gerissen und gerupft am Boden lag. Nun tat es mir leid, aber das zu gestehen und offen zu bedauern, kam mir so albern, so schal vor, alles nur noch schlimmer machend. Es änderte ja nichts am Geschehenen, machte nichts rückgängig, und das war es, was ich mir am meisten wünschte. Alles hätte wieder gut werden sollen, ungeschehen gemacht. Wie hätte ich Klaus jemals erklären können, was ich ihm beinahe angetan hätte, dass ich ihn belogen und unmögliche Dinge von ihm verlangt hatte? Wie sollte ich damit umgehen, dass er am Ende, trotz aller Bedenken, sogar dazu bereit gewesen wäre, mir diese Dinge zu geben? Er war zu dem ultimativen Liebesbeweis bereit, und ich verspürte nichts anderes mehr als Schuld und Unwürdigkeit ihm gegenüber. Da war es besser, gleich ganz zu gehen, sich einfach aus dem Staub zu machen und anderswo einen Neuanfang zu wagen.
Ich ging nach Berlin, kaufte mich mit meinem frisch verdienten Geld in die Neue Mitte ein und bezog eine großzügig geschnittene Wohnung mit tollem Atelier und einer Dachterrasse mit fulminantem Ausblick auf die Kuppeln, Türme und Baukräne der wiederauferstehenden Hauptstadt und – malte und vögelte. Nach Hamburg setzte ich nach Möglichkeit keinen Fuß mehr hinein, ich nutzte die Stadt nur noch als Durchgangsstation auf meinen spärlichen Reisen gen Norden, den immer weniger
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