Die unsicherste aller Tageszeiten
ersten Blick. Zuerst sah mein Galerist es als gute Gelegenheit an, dann wurde ihm die Geschichte zu ernst, zu einseitig, er wertete sie als zu große Belastung für meine Aufmerksamkeit und meine Arbeit. Denn als ich mit Klaus zusammen war, ließ ich nicht nur das Herumhuren sein, sondern malte auch weniger, da ich meine Zeit lieber mit meinem Mann verbrachte als damit, mit einem Köcher voller Pinsel auf ein Stück Leinwand zu zielen. Es hatte mich wirklich heftig erwischt, und das verkniffene Gesicht meines Galeristen sprach Bände, was er davon hielt. Aber natürlich sagte er nichts, denn er hätte zu Recht fürchten müssen, mich zu verlieren, hätte er mir diese Beziehung madigzumachen versucht.
Meinen Eltern konnte ich damit auch nicht kommen; seit ihrer falschen Reaktion auf mein Coming-out sind sie, was mein Gefühlsleben angeht, aus dem Spiel. Seitdem ich als Künstler Erfolg hatte, ich finanziell unabhängig war und nicht mehr an ihrem Tropf hing, bezog ich sie gar nicht mehr in meine Entscheidungen ein. Von meinem Umzug nach Berlin, durch den sie überhaupt erst davon erfuhren, dass ich mein Studium geschmissen hatte, berichtete ich ihnen erst nachträglich. Ihnen gefiel die Vorstellung nicht, dass ich nun ein Leben ohne eine handfeste Ausbildung in der Tasche plante; wahrscheinlich konnten sie sich ein solches Leben damals sogar noch weniger vorstellen als heute, aber sie wussten auch, ihre Meinung zählte schon längst nicht mehr.
»Du machst ja sowieso, was du willst«, sagte mein Vater und klang nicht einmal enttäuscht. Meine Mutter hatte auch nur Allgemeinplätze zum Thema >Das Leben des Künstlers unterhalb des Existenzminimums< zu sagen, an das zweite Thema, auf das sie viel neugieriger gewesen wäre, nämlich mein Beziehungsstatus, traute sie sich nicht ran.
Zwar kam sie mittlerweile ganz gut damit zurecht, einen schwulen Sohn zu haben, was unser Verhältnis merklich entspannte. Aber das hieß nicht, dass sie damals, als ich vor ihr und Papa stand und ihnen sagte, ich sei schwul, nicht auch Fehler gemacht hatte, gravierende Fehler, Fehler, die ich ihr nur schwer verzeihen konnte. Ich hatte damals natürlich erwartet, wenigstens sie würde sich mit mir solidarisch erklären, zu mir halten und mich unterstützen, weil Mütter das doch gemeinhin so tun, stattdessen schlug sie sich auf die Seite meines Vaters, den sie also immer noch mehr liebte als mich, obwohl ihre Ehe alles andere als eine Bilderbuchehe war, sich mehr über die gemeinsamen Kinder zu definieren schien denn über die Gefühle füreinander. Das war kränkend, und dass sie selbst heute noch mit diesem zur herrischen Kälte neigenden Mann zusammen ist, macht sie mir bis heute suspekt. Ich kann ihr einfach nicht alles anvertrauen, immer muss ich befürchten, sie plaudert das, was ich vertraulich behandelt wissen möchte, weiter. Also gebe ich auch ihr nur die Grundinformationen, Beziehungsstatus oder neue Rekordpreise meiner Bilder, und lasse sie dann damit allein. Das nenne ich praktizierten Selbstschutz.
Das Telefon klingelt und reißt sowohl mich aus meinen Gedanken als auch meinen brünetten Kellner aus seiner traumverlorenen Betrachtung meiner Person. Wir schrecken beide bei dem Geräusch auf, und er wirft mir ein entschuldigendes Grinsen zu, als er sich halb herumdreht, den Hörer von der Ladestation und das Gespräch annimmt. Er wirkt auf einmal so jung, so jungenhaft auf mich, unschuldig und unbeschwert in seiner Reaktion, sich ertappt zu fühlen. Ob sein Coming-out wohl glimpflicher verlaufen ist als meins? Ob er es seinen Eltern überhaupt schon gesagt oder sich nicht doch einfach nur aus dem Staub gemacht hat, ohne die Hoffnung seiner Eltern auf Schwiegertochter, Enkelkinder, eine anständige bürgerliche Existenz vorher noch ein für alle Mal zu zerstören? Steht ihm die Katastrophe noch bevor, die ich bereits hinter mir habe? Muss sie sich bei ihm wiederholen? Vielleicht hat er ja Glück, und das einundzwanzigste Jahrhundert hat in seiner Familie tatsächlich schon Einzug gehalten. Ich wünsche es ihm; niemand soll durchmachen müssen, was ich mit meinen Eltern hatte durchmachen müssen.
Ich war fünfzehn, als ich mich eines schönen Tages vor meine Eltern stellte und ihnen mitteilte, dass ich schwul sei. Meine Geschwister ging das in dem Moment noch nichts an, eigentlich sagte ich es Mutter und Vater mehr aus Höflichkeit, damit sie Bescheid wussten und sie nicht irgendein Unbefugter aus Klatschsucht, Spottlust oder
Weitere Kostenlose Bücher