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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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spröde – also von unserer Bagage mal abgesehen. Wir sind eher schlagende Menschen, die sich gerne herumschlagen, um überhaupt was zu tun zu haben, und deshalb hätten wir viel besser an die Westküste gepasst, da hätten wir uns immerhin mit den rauen Elementen herumschlagen können. Auf die Art und Weise abgelenkt wären wir dann vielleicht auch viel besser miteinander ausgekommen. Stattdessen haben wir hier nicht einmal auch nur die Ferien verbracht.
    Nordfriesland mit seiner eigenen Sprache, die sich vor allem in den Ortsnamen auf der Landkarte manifestierte, die so häufig auf -um und -büll endeten, mit seinen reetgedeckten Häusern und der lange vergangenen Walfangtradition. Für mich war und ist das eher ein Teil Skandinaviens, der Brückenkopf ins raue Wikingerland, wo sie aus Schädeln soffen, wenn sie ihre Rückkehr von einem erfolgreichen Raubzug feierten.
    In der siebten Klasse haben wir dann eine Klassenfahrt nach Amrum gemacht. Die meisten meiner Mitschüler fanden es spätestens nach zwei Tagen sterbenslangweilig und fingen an, immer mehr Scheiße zu bauen; zwei Jungs zündeten schließlich sogar einen Müllcontainer an, und nur weil die Erwachsenen ihnen nichts nachweisen konnten, wurden wir nicht aus der Jugendherberge geschmissen. Zum Glück, denn ich fühlte mich dort wie angekommen. Kein Tag verging, an dem ich nicht einen langen Strandspaziergang machte, die aufgewühlte Luft und das kabbelige Meer genoss. Meistens begleitete mich eine Lehrerin, allein an den Strand durften wir Schüler nicht, zum Ende der Woche hin hatte ich mir aber ihr Vertrauen gesichert und durfte auch allein los. Während meine Klassenkameraden an ihrem Lagerkoller erstickten, konnte ich frei und von aller Last befreit durchatmen. Sollten die sich doch streiten und angiften, als wären sie eine kindische Kopie meiner kindischen Familie, hier draußen berührte mich das alles nicht. Hier gehörte ich nicht zu ihnen, hier gehörte ich mir nur ganz allein. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich nie wieder in mein Elternhaus zurückgekehrt.
    Doch das ging ja nicht, und weil unsere Familienurlaube immer nur gen Süden gingen, je größer der Wohlstand, desto weiter die Reise, zuerst in den Harz, dann in den Taunus, danach an den Bodensee und zu guter Letzt, als nur noch meine kleine Schwester mitfuhr, an den Gardasee, kam ich nach jener Klassenfahrt nicht mehr an die Nordseeküste. Da musste ich erst Klaus begegnen, damit er mich zurück an meinen Sehnsuchtsort brachte und all die schönen Erinnerungen an die damalige Fahrt nicht nur wiedererweckte, sondern bestätigte. Durch ihn gewann ich überhaupt erst die Lust an Urlaubsreisen zurück, er legte in mir die Fähigkeit frei, das auf den Familienreisen Erlebte mit Humor zu sehen, die ich auch sogleich nutzte, um ihm vom schlimmsten unserer Urlaube überhaupt zu erzählen, von jener Reise in ein kleines Kuhkaff am Bodensee in der Nähe von Friedrichshafen, wo wir in einer Pension abstiegen, die einer alten Nazi-Vettel gehörte, die uns auf Schritt und Tritt überwachte und besonders uns Kinder auf dem Kieker hatte. Alles sei braun gewesen in ihrem Haus, erzählte ich Klaus, überall habe billiger Nippes gestanden, den sie uns als Gott weiß wie teure Antiquitäten habe verkaufen wollen. Wir Kinder hätten sie bald nur noch Opas Braut genannt, weil sie ähnlich streng und herzlos wie der alte Heinrich aufgetreten sei.
    »Und dann kam es, wie es kommen musste«, fuhr ich fort, »ich warf eine ihrer blöden Vasen runter. Die zerschellte natürlich sofort in tausend Scherben, und unsere Herbergsmutter, die früher sicherlich mal als KZ-Aufseherin gearbeitet hat, schrie Zeter und Mordio. Wie eine Furie stürzte sie sich auf mich, und zwar so sehr, dass sich sogar meine Eltern dazu gezwungen sahen, für mich Partei zu ergreifen und sich schützend vor mich zu stellen.«
    »Oh, du Armer«, hauchte Klaus und streichelte mir wuschelnd übers Haar.
    »Ja, ich Armer«, stimmte ich zu und richtete mich zu voller Sitzgröße auf. »Aber ich habe mich gerächt!«
    »Und wie?«
    »Am Tag unserer Abreise habe ich ihr ins Bett geschissen!«
    »Du hast was?« Klaus verschluckte sich an seinem Lachen.
    »Ich habe ihr ins Bett geschissen«, wiederholte ich voller Genugtuung.
    »Und … und wie hast du das gemacht?«
    »Mit dem Arsch natürlich. Wie denn sonst? Mit dem verbringe ich doch alle meine Wunder.«
    »Ach, Mann!« Klaus war so angenehm angeekelt, dass er es kaum noch aushielt.

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