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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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der falsche Name, wenn nicht, um mich zu schützen? Ich brauchte ihn auch nicht mehr, denn ich hatte längst Ersatz gefunden. In Jürgens nahester Verwandtschaft sogar. Den Großteil seiner Geschichte kannte ich bereits aus einem viel jüngeren Munde, der aber nicht weniger gierig und heiß war als der des Älteren. Was ihm dagegen abging, war die Verzweiflung, die alles wie eine zu starke Prise Bittermandelöl würzte, und deshalb war die Geschichte mit Tim viel, viel süßer und anziehender für mich.
    Ich hatte Tim vor drei Tagen schon im Schwimmbad kennengelernt – so weit, so klischeehaft. Das ist einer dieser modernen Wellness-Tempel mit Sauna, Rutsche und eben Wellenbad, in dessen Becken echtes Nordseewasser, keimfrei natürlich, Chlor sei Dank, schwappt. Er war mir sofort aufgefallen – groß, dünn, erster Flaum auf der Brust –, und ich wusste sofort, dass ich ihn nicht nur haben wollte, sondern dass ich ihn haben konnte. Die heimlichen Blicke, die er anderen Männern hinterherwarf, verrieten ihn demjenigen, der ebenfalls schon hundert-, ja tausendfach solche Blicke abgeschossen hatte. Das kindliche Herumplanschen im warmen Wasser interessierte ihn kaum mehr, dass er auf seine beiden jüngeren Geschwister aufpassen musste, nervte ihn augenscheinlich, weil es ihn immer wieder zwang, seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Er saß zumeist am seichten Ende des Beckens im Wasser, dort, wo die Wellen ausliefen, und hatte natürlich auch mich längst entdeckt.
    Er kam mir seltsam bekannt vor, ich konnte ihn jedoch nicht einordnen. Was mich nicht weiter bekümmerte, bei meinem Männerverschleiß stellt sich leicht einmal der Eindruck eines Déjà-vus ein: Irgendwann hat man sie alle schon mindestens einmal gehabt. Und woran hätte ich ihn auch erkennen sollen? Tims Vater hatte ich niemals bei Licht gesehen, ich kannte nur ganz rudimentär seinen Körper: haarige Rettungsringe, die in Zukunft noch viel massiger, zu echten Speckwülsten werden würden. Davon war der Sohn jedoch noch weit, weit entfernt. Der Sex zwischen Jürgen und mir hatte sich voll und ganz auf die Genitalien beschränkt, die Haut hatte keine Rolle gespielt, da sie meistenteils von sogar mehr als nur einer Lage Stoff bedeckt gewesen war. Ich wusste also nicht, wie der Vater schmeckte, und konnte so auch keine Verbindung herstellen, nachdem ich den Sohn gekostet hatte. Nicht einmal der Geruch hätte mir helfen können, denn durch die Kleidung roch ich nur das Waschmittel, das Jürgens Frau benutzte, nicht aber den Duft seiner eigenen Poren und Drüsen. Im Schwimmbad dagegen überlagerten Meersalz und Chlor jeden Eigengeruch, da blieb nicht einmal der penetranteste Waschmittelgeruch in einer auch noch so frisch gewaschenen Badehose hängen.
    Ob ich Skrupel gehabt, ob ich mich gebremst hätte, wenn ich von den Verwandtschaftsverhältnissen gewusst hätte? Wohl kaum. Eher wäre mir das noch ein zusätzlicher Reiz gewesen. Es erst mit dem Vater und dann mit dem Sohn zu treiben, das war eine Fantasie, die so direkt aus einem Schwulenporno hätte stammen können. Die Krönung wäre nur noch gewesen, mit beiden zusammen einen flotten Dreier zu schieben. Aber da hätte vermutlich der Vater gestreikt, denn das hätte ja ein Bekenntnis von ihm zumindest vor seinem Sohn verlangt.
    Ich machte mich bedenkenlos an Tim heran, in dessen Blicken sich das Erschrecken darüber, erkannt worden zu sein, und der Wunsch, endlich erkannt zu werden, wie die Folter auf dem Streckbrett die Waage hielten. Er sehnte sich danach, dass ein Ende endlich riss, und er wünschte sich so sehr, es möge das richtige Ende sein, bei aller Angst davor. Wie gut ich das doch kannte.
    Tims Bruder und Schwester, die beide mindestens zehn Jahre jünger zu sein schienen als er, spielten im flachen Beckenteil mit einem großen aufblasbaren Ball im tiefen Blau und mit dem weißen Namenszug eines bekannten Creme-Herstellers. Tim saß im seicht-plätschernden Wasser und hielt die beiden mit Kommandos und Rufen in Schach, wenn sie zu weit ins tiefe Wasser abzugleiten drohten, und überließ sie ansonsten sich selbst. Ich gesellte mich unauffällig zu ihnen, setzte mich jedoch ein wenig in Tims Rücken, sodass er sich nach mir umdrehen musste, wollte er einen Blick auf mich erhaschen. Und er wollte, bald schon schielte er andauernd nach hinten über seine rechte Schulter. Ich erwiderte jedes Mal so bereitwillig wie gelassen seinen Blick und lächelte, zuerst nur mit einem Mundwinkel und

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