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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Andras, sie zu essen. Als er gewaschen und angezogen war und erschöpft auf dem frisch gemachten Bett lag, ließ Polaner sich von Andras erzählen, was genau geschehen war. Er hörte sich alles aufmerksam an und beurteilte die Situation als ernst, aber nicht hoffnungslos. Das Wichtigste wäre zunächst, dass Andras wieder gesund würde. Es gebe zwei Projekte im Atelier, die fertiggestellt werden müssten. Wenn Andras nicht aus dem Bett käme, würde Polaner dafür büßen: Es waren Gruppenprojekte, und die Gruppe bestand aus Andras und Polaner. Bald ständen Prüfungen an, auf die sie sich vorbereiten müssten: Statik und Architekturgeschichte. In zehn Tagen sei es so weit. Wenn Andras durchfiel, würde er sein Privatstipendium verlieren und nach Hause geschickt. Dann war da noch die kleine Nebensache mit Andras’ Arbeitsstelle; seit zwei Tagen hatte er nichts von sich hören lassen.
    Polaner erklärte, er würde ihre Sachen aus dem Atelier holen – Andras war zu erschöpft vom Fieber, um den Weg zum Boulevard Raspail zu schaffen –, damit sie gemeinsam an ihren Projekten arbeiten konnten. Am Nachmittag wollte Polaner zur Bühnenbildnerwerkstatt gehen und Monsieur Forestier eine Nachricht von Andras überbringen, in dem er um Verzeihung bat. Polaner würde anbieten, nachts Andras’ Pausarbeiten zu erledigen. In der Zwischenzeit würde Andras einen Lernplan für die Prüfungen in Statik und Geschichte erstellen.
    Noch nie hatte Andras einen Freund wie Polaner gehabt, und zeit seines Lebens würde er keinen besseren finden. Am nächsten Tag war seine Anstellung bei Forestier gesichert und seine letzten Projektarbeiten kurz vor der Fertigstellung. Sie mussten Pläne für einen modernen Konzertsaal zeichnen, und es waren noch Konstruktionsprobleme zu lösen: Sie hatten sich für eine zylindrische Form entschieden und mussten eine Lösung für die Innendecke finden, die den Klang ohne Echo und Verzerrungen zum Publikum lenken sollte. Wenn sie mit den Zeichnungen fertig waren, würden sie ein Modell bauen müssen. Die immer wieder neue Anordnung der Kartonstücke nahm einen ganzen Tag und eine Nacht in Anspruch. Polaner verlor kein Wort darüber, nach Hause zu gehen: Er schlief auf dem Boden und war da, als Andras am Morgen erwachte.
    Gerade als Polaner um halb elf Anstalten machte, aufzubrechen, hörten sie lauter werdende Schritte auf der Treppe. Andras kam es vor, als würde jemand seine Wirbelsäule emporsteigen, hinauf bis zur schmerzenden schwarzen Höhle seines Herzens. Sie hörten einen Schlüssel in der Tür, sie ging auf; es war Klara, die Augen dunkel unter der Krempe ihres Frühlingshuts.
    »Entschuldigung«, sagte sie. »Ich wusste nicht, dass du Gesellschaft hast.«
    »Monsieur Polaner ist schon auf dem Weg«, sagte Polaner. »Monsieur Lévi hat fürs Erste genug von mir. Ich habe ihn die ganze Nacht mit Architektur gequält, obwohl er sich noch von seinem Fieber erholt.«
    »Fieber?«, fragte Klara. »War der Arzt da?«
    »Polaner hat sich um mich gekümmert«, erwiderte Andras.
    »Ich war ein schlechter Arzt«, sagte Polaner. »Ich glaube, er hat Gewicht verloren. Ich bin jetzt weg, bevor ich noch mehr Schaden anrichte.« Er setzte seinen extravaganten Frühlingshut auf, schlüpfte in den Gang und schloss die Tür leise hinter sich.
    »Fieber«, sagte Klara. »Geht es dir jetzt besser?«
    Er antwortete nicht. Sie setzte sich auf den Holzstuhl und betastete die Pappwände des Konzertsaals. »Ich hätte dir von Zoltán erzählen sollen«, sagte sie. »Es war schrecklich, dass du es auf diese Weise erfahren musstest. Und es hätte noch schlimmer kommen können. Ihr habt zusammen gearbeitet. Marcelle war eingeweiht.«
    Er wollte es sich nicht vorstellen: Madame Gérard, die alles wusste und alles sah. »Es war schon schlimm genug, es so zu erfahren«, sagte er.
    »Ich möchte, dass du weißt, dass es vorbei ist«, sagte Klara. »Ich habe ihn vor zwei Wochen nicht getroffen und werde es auch dann nicht tun, wenn er mich noch einmal darum bittet.«
    »Das hast du bestimmt jedes Mal gesagt.«
    »Du musst mir einfach glauben, Andras.«
    »Du bist immer noch an ihn gebunden. Du wohnst in dem Haus, das er dir gekauft hat.«
    »Er hat die Anzahlung geleistet«, sagte Klara. »Aber der Rest ist von mir. Elisabet kennt das Finanzielle nicht in allen Einzelheiten. Vielleicht will sie einfach nicht wahrhaben, dass ich für unseren Lebensunterhalt aufkomme. Dann könnte sie nämlich kaum noch rechtfertigen, wie sie

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