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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Kunstgeschichte mit leeren, mandelförmigen Augen in die Ferne starrten. Er stieg die marmorne Eingangstreppe des dreistöckigen romanischen Gebäudes empor und fand sich in einer Halle wieder, in der es vor jungen Männern und Frauen nur so wimmelte, alle gewollt lässig gekleidet. Auf einer Liste mit Ateliergruppen fand er Józsefs Namen; eine Übersichtskarte zeigte Andras, wo er suchen musste. Er ging nach oben in einen Atelierraum mit einer schrägen Decke ganz aus Glas, die nach Norden ging. Dort stand inmitten von Studenten, die in ihre Arbeit vertieft waren, József und brachte Lack auf eine Leinwand auf, die drei zerquetschte Bienen am schwarzen Abgrund eines Abflusses darzustellen schien. Nach näherer Prüfung entpuppten sich die Bienen als schwarzhaarige Frauen in gelb-schwarz gestreiften Kleidern.
    József war nicht sonderlich überrascht, Andras in seinem Atelier zu sehen. Kühl hob er eine Augenbraue und fuhr mit dem Lackieren fort. »Was machst du hier, Lévi?«, fragte er. »Hast du nicht selbst Projekte fertigzustellen? Für heute schon fertig? Bist du hier, damit ich mit dir schon am Vormittag trinken gehe?«
    »Ich suche den Amerikaner«, sagte Andras. »Der auf deiner Party war. Paul.«
    »Warum? Willst du ihn zum Duell auffordern wegen seiner eindrucksvollen Freundin?« József trat gegen die Staffelei des Studenten ihm gegenüber, der lauthals protestierte. Es war unverkennbar Paul.
    »Hász, du Idiot«, zischte er und kam mit einem Pinsel voll gebranntem Umbra hinter seiner Leinwand hervor, das Gesicht vor Empörung verzerrt. »Wegen dir hat meine Mänade jetzt einen Schnurrbart.«
    »Das macht sie nur schöner.«
    »Lévi schon wieder«, sagte Paul und nickte Andras zu. »Willst du was bei uns lernen?«
    »Nein. Ich wollte mit dir sprechen.«
    »Ich glaube, er will mit dir um das dralle Mädchen kämpfen«, sagte József.
    »Hász, du bist zum Schießen«, sagte Paul. »Du solltest mit der Nummer auf Tournee gehen.«
    József blies ihm einen Kuss zu und arbeitete weiter.
    Paul nahm Andras’ Arm und führte ihn zur Tür. »Manchmal kann ich den Spinner leiden und manchmal nicht«, sagte er, als sie die Treppe hinuntergingen. »Heute ist es ganz besonders schlimm.«
    »Tut mir leid, dass ich dich im Atelier störe«, sagte Andras. »Ich wusste nicht, wo ich dich sonst hätte suchen sollen.«
    »Ich hoffe, du kannst mir erklären, was los ist«, sagte Paul. »Ich habe Elisabet seit Tagen nicht gesehen. Ich nehme an, ihre Mutter verbietet ihr auszugehen, wegen der Verspätung letztens. Aber vielleicht weißt du ja mehr.« Er warf Andras einen Seitenblick zu. »Ich habe gehört, da läuft was zwischen dir und Madame Morgenstern.«
    »Ja«, sagte Andras. »So kann man das nennen, da läuft etwas.« Sie hatten die Eingangstür des Gebäudes erreicht und setzten sich draußen auf die Marmorstufen. Paul suchte in seiner Tasche nach einer Zigarette und zündete sie an, mit einem Feuerzeug, das sein Monogramm trug.
    »Und?«, fragte er. »Wie lautet die Nachricht?«
    »Elisabet darf ihr Zimmer nicht verlassen«, erklärte Andras. »Ihre Mutter lässt sie erst wieder raus, wenn sie sich bei mir entschuldigt hat.«
    »Wofür?«
    »Egal. Das ist kompliziert. Entscheidend ist, dass Elisabet sich nicht entschuldigen will. Lieber verhungert sie.«
    »Warum?«
    »Nun, weil ich leider derjenige bin, der euch verpfiffen hat. Als Elisabet letztens zu spät kam, war ihre Mutter außer sich vor Sorge. Ich konnte nicht anders, ich musste ihr sagen, dass Elisabet bei dir sein könnte. Jetzt ist alles raus. Und ihre Mutter hat leider nicht gerade erfreut auf die Nachricht reagiert, dass ihre Tochter einen Verehrer hat.«
    Paul nahm einen langen Zug von seiner Zigarette und blies eine graue Wolke in den Hof. »Ich bin erleichtert, um ehrlich zu sein«, sagte er. »Diese Heimlichtuerei wurde langsam etwas bedrückend. Ich bin verrückt nach dem Mädchen, und ich hasse es« – er schien nach dem französischen Ausdruck zu suchen –, » mich zu verstecken . Ich bin gerne der Kerl mit dem weißen Cowboyhut. Verstehst du das? Magst du amerikanische Western?«
    »Ich habe ein paar gesehen«, sagte Andras. »Allerdings ungarisch synchronisiert.«
    Paul lachte. »Du bist also auf Friedensmission hier? Du willst uns helfen, nachdem du alles vermasselt hast?«
    »So ähnlich. Ich würde gerne den Vermittler spielen. Um Elisabets Vertrauen zu gewinnen, wenn du so willst. Sie kann mich nicht auf ewig hassen. Nicht wenn ihre

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