Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
angenehmer als in der Vergangenheit: Sein diplomatischer Umgang mit Elisabet hatte ihm ihre widerwillige Dankbarkeit eingebracht; inzwischen konnte sie eine Stunde mit ihm am Tisch sitzen, ohne ihn zu beleidigen oder sich über sein unvollkommenes Französisch lustig zu machen. Auch wenn Klara anfangs verärgert gewesen war, als Andras ihr von seiner Rolle als Vermittler erzählte, war sie doch beeindruckt von der Veränderung, die er bei Elisabet hervorgerufen hatte. Er hatte ein engagiertes Plädoyer für Paul gehalten, und Klara hatte schließlich nachgegeben und Elisabets Verehrer zum Essen eingeladen. Nicht lange, und ein zerbrechlicher Friede war entstanden; Paul hatte Klara mit seinem Wissen über zeitgenössische Kunst, seiner gutmütigen Vornehmheit und unermüdlichen Geduld gegenüber Elisabet beeindruckt.
Ein weiterer Meilenstein rückte näher: Zum ersten Mal würde Andras seinen Geburtstag in Paris feiern. Ende August würde er dreiundzwanzig werden. Als er seinen Koffer packte, stellte er sich vor, mit Klara auf der Rue de Sévigné Champagner zu trinken, nur sie und er in süßer Zweisamkeit, eine Neuauflage ihres Winteridylls. Doch als er am Morgen zu ihrem Haus kam, parkte ein schwarzer Renault mit zusammengefaltetem Dach am Bordstein. Zwei kleine Koffer standen neben dem Wagen; auf dem Fahrersitz lagen ein Schal und eine Schutzbrille. Klara trat aus dem Haus, schirmte ihre Augen vor der Sonne ab; sie trug einen Staubmantel, Stiefel aus Segeltuch und Autohandschuhe. Das Haar hatte sie zu zwei Knoten am Hinterkopf gebunden.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Andras.
»Pack deine Sachen in den Kofferraum«, sagte Klara. »Wir fahren nach Nizza.«
»Nach Nizza? In diesem Auto? Wir fahren mit diesem Auto?«
»Ja, mit diesem Auto.«
Er stieß einen kleinen Freudenschrei aus, sprang über den Wagen und nahm sie in die Arme. »Das ist nicht dein Ernst«, sagte er.
»Doch, ist es. Das ist dein Geburtstagsgeschenk. Wir haben ein Haus am Meer.«
Auch wenn Andras wusste, dass man Autos und Häuser mieten konnte, war es für ihn fast unvorstellbar, dass Klara tatsächlich einen Wagen gemietet hatte und sie nun einfach den Tank mit Benzin füllen und zu einem Ferienhaus nach Nizza fahren konnten. Kein Ärger mit dem Gepäck auf dem Bahnhof, keine überfüllten Dritte-Klasse-Abteile, in denen es nach Qualm, Brot und schwitzenden Mitreisenden stank, keine Suche nach einem Taxi oder einem Pferdekarren am Zielort. Nur Andras und Klara in diesem kleinen insektenschwarzen Wagen. Und dann ein Haus, in dem sie allein sein würden. Welch ein Luxus; welch eine Freiheit! Sie packten die Koffer ins Auto, und Klara legte den Schal um und setzte die Schutzbrille auf.
»Wieso kannst du Auto fahren?«, fragte er, als sie in Richtung der Rue des Francs-Bourgeois fuhren. »Gibt es eigentlich etwas, das du nicht kannst?«
»Wenig«, gab sie zurück. »Ich kann kein Portugiesisch und Japanisch, und ich kann keine Brioche machen, außerdem kann ich nicht singen. Aber ich kann Auto fahren. Das hat mir mein Vater beigebracht, als ich noch klein war. Wir haben immer auf dem Land in Kaba geübt, in der Nähe vom Haus meiner Großmutter.«
»Ich hoffe, du hast in der Zwischenzeit mal wieder geübt.«
»Nicht oft. Warum? Hast du Angst?«
»Weiß nicht«, sagte Andras. »Sollte ich welche haben?«
»Das wirst du bald wissen!«
Von der Rue Pas de la Mule bog Klara auf den Boulevard Beaumarchais ab und fädelte sich mühelos in den Verkehr um die Bastille ein. Sie fuhren den Boulevard Bourdon hinunter, überquerten die Seine am Pont d’Austerlitz und schossen Richtung Süden davon. Andras’ Mütze drohte fortzufliegen, er musste sie mit der Hand festhalten. Sie fuhren durch die anscheinend endlosen Vororte von Paris (Wer wohnte in diesen fernen Vierteln, in diesen dreistöckigen Gebäuden? Wessen Wäsche hing da an der Leine?) und dann hinaus in den goldenen Dunst und die wogenden grünen Weiden des Umlands. Fette Schafe und Ziegen standen auf abgegrasten Weiden. Neben einem Bauernhaus schlugen Kinder mit Stöcken und Schaufeln auf das Skelett eines verrosteten Citroën ein. Eine wilde Hühnerschar drängte auf die Fahrbahn; Klara musste sie mit einem trä-rää! der Hupe auseinandersprengen. Hohe, fedrige Linden rauschten vorbei, jede mit einem flüchtigen Peitschen. Zum Mittagessen machten sie Rast an einer Wiese und aßen kaltes Hühnchen, einen Gurkensalat und einen Pfirsichkuchen, der Wespen anlockte. In Chantilly
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