Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
protestieren würden und dass der einzige Vorteil, den das haben könne, eine verzögerte Abreise von Monsieur und Madame Novak sei.
»Oh, das wäre aber furchtbar«, sagte Madame Novak. »Meine Mutter gibt einen Empfang zu unserer Begrüßung, und die Einladungen sind bereits verschickt.«
Madame Gérard lachte. »Dir kann man bestimmt nicht vorwerfen, eine Populistin zu sein, Edith«, sagte sie, und bald gingen die Gespräche wieder in ihren alten Rhythmus über.
Beim Essen fand sich Andras zwischen Madame Novak und der älteren Frau im Mainbocher-Kleid wieder. Madame Novaks Jasminparfüm war derart penetrant, dass es den Geschmack jeder Speise übertünchte, die Andras vorgesetzt bekam; er aß Jasmin-Schildkrötensuppe, Jasmin-Sorbet, Jasmin-Fasan. Klara war neben Novak weiter unten am Tisch rechts von Andras platziert, sodass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Die Unterhaltung bei Tisch drehte sich anfangs um Madame Gérard: um ihre Karriere, ihre neue Wohnung, ihre ewige Schönheit. Marcelle lauschte mit aufgesetzter Bescheidenheit, ihre Lippen verzogen sich zu seinem selbstzufriedenen Lächeln. Als sie lange genug in Schmeicheleien geschwelgt hatte, brachte sie das Gespräch wieder auf Budapest, auf seine Reize und Mängel, und wie sehr sich die Stadt verändert habe, seit die hier anwesenden Ungarn dort ihre Jugend verbracht hätten. Jeden Satz begann sie mit den Worten »Als wir in Monsieur Lévis Alter waren«. Ein Hauptmann von Soundso, der Andras gegenübersaß, verkündete, Europa würde früher oder später in den Krieg ziehen und Ungarn müsse sich beteiligen, Budapest stünden grundlegende Veränderungen bevor, noch ehe das Jahrzehnt zu Ende gehe. Madame Novak äußerte die Hoffnung, dass zumindest der Park, in dem sie als kleines Mädchen gespielt habe, unverändert sei; dort solle nämlich auch ihr eigenes Kind spielen.
»So ist es doch, oder?«, fragte sie ihren Mann über den Tisch hinweg. »Sobald wir in der Stadt sind, lasse ich János von seinem Kindermädchen hinbringen.«
»Wohin, meine Liebe?«
»Zum Park an der Pozsonyi út, direkt am Flussufer.«
»Natürlich«, sagte Monsieur Novak geistesabwesend und wandte sich wieder Klara zu.
Das Essen schloss mit Käse und Portwein, und die Gäste zogen sich in einen Raum mit cremefarben gestrichenen Wänden zurück, in dem samtene Sitzpolster und ein Victrola-Grammofon standen. Madame Gérard wollte, dass getanzt wurde. Die Sitzpolster wurden beiseitegeschoben, eine Schallplatte auf die Victrola gelegt, und die Gäste bewegten sich zu einem neuen amerikanischen Lied: »They Can’t Take That Away from Me«. Monsieur Novak packte Klara um die Taille und führte sie in die Mitte des Raumes. Sie bewegten sich ungelenk, Klara stemmte die Hände gegen Novaks Arme, während er versuchte, den Kopf auf ihre Schulter zu legen. Madame Novak tanzte mit aufgesetzter Gleichgültigkeit ruckartig Jazz mit Hauptmann von Soundso, und Andras hatte plötzlich die ältere Frau in Schwarz vor sich. The way you wear your hat, sang sie Andras ins Ohr. The way you sip your tea. The memory of all that – no, they can’t take that away from me.
»Das Lied handelt von verlorener Liebe!«, sagte sie, als er einwandte, sein Englisch sei dürftig. Sie glaubte offenbar, ihm ins Ohr schreien zu müssen, um bei der Musik und den Gesprächen verstanden zu werden. »Der Mann ist von der Frau getrennt, aber er wird sie nie vergessen! Sie sucht ihn in seinen Träumen heim! Sie hat sein Leben verändert!«
Offenbar konnte niemand genug von der Musik bekommen. Madame Gérard erklärte den Song zu ihrem neuen Lieblingslied. Sie spielten es viermal, bevor sie es leid wurden. Andras tanzte mit Madame Gérard und mit Edith Novak und dann wieder mit der älteren Dame; Zoltán Novak hingegen wollte Klara nicht freigeben. In Kürze würde er Paris für immer verlassen; nichts konnte das verhindern – kein Eisenbahnerstreik, kein drohender Krieg, noch die Kraft seiner eigenen Liebe. Klara versuchte, sich aus seinen Armen zu befreien, doch jedes Mal, wenn sie sich ihm entzog, protestierte er so lautstark, dass sie bei ihm bleiben musste, um eine Szene zu vermeiden. Schließlich sackte er, zu betrunken zum Stehen, auf eine Polsterbank und wischte sich mit einem großen weißen Taschentuch über die Stirn. Madame Gérard nahm die Schallplatte vom Plattenteller und verkündete, dass nun der Geburtstagskuchen serviert würde. Klara winkte Andras in den Flur.
»Komm, wir gehen«,
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